Zahl der Kliniken

Politik und Gesundheit: Streitthema Krankenhaus

Die Zahl der Kliniken im Südwesten entwickelt sich klar in eine Richtung: nach unten. Das sorgt häufig für großen Ärger, muss es aber nicht – wie zwei Beispiele zeigen.

20.09.2021

Von lsw

In Geislingen ist der Streit um die Zukunft des Krankenhauses eskaliert. Foto: Stefan Puchner

In Geislingen ist der Streit um die Zukunft des Krankenhauses eskaliert. Foto: Stefan Puchner

Geislingen/Baden-Baden. Die Liste der Gründe für Krankenhausfusionen ist lang: Fachkräftemangel, medizinischer Fortschritt, wirtschaftlicher Druck durch hohe Fixkosten, politische Vorgaben zur Personalausstattung und Mindestmengen bei Eingriffen. Der Trend geht auch klar in Richtung Zentralisierung. Allein in Baden-Württemberg schrumpfte die Zahl innerhalb von 30 Jahren von 317 auf 250 Kliniken. Nicht immer verläuft das geräuschlos. Manchmal eskaliert es regelrecht.

So soll zum Beispiel der stationäre Betrieb in der Helfenstein-Klinik in Geislingen an der Steige nach einem Beschluss des Göppinger Kreistags bis 2024 eingestellt werden. Schritt für Schritt soll das Angebot in einen Neubau nach Göppingen überführt werden, der Standort Geislingen der Alb-Fils-Kliniken danach ambulante Dienste anbieten.

Die Geislinger brachte das so auf die Palme, dass Oberbürgermeister Frank Dehmer (parteilos) den Aufsichtsrat der Alb-Fils-Kliniken verließ. Und es kommt noch schärfer: Am 26. September, dem Tag der Bundestagswahl, findet in Geislingen nun ein Bürgerentscheid über einen Austritt aus dem Landkreis Göppingen statt. Die Bürger können abstimmen, ob die 28?500-Einwohner-Stadt prüfen soll, wie ein Wechsel in den Alb-Donau-Kreis realisiert werden kann.

Gebündelte Fachkompetenz, keine Verlegungen

Ganz anders im Westen des Landes: Für die Zukunft des Klinikums Mittelbaden haben sich der Baden-Badener Gemeinderat und der Kreistag Rastatt im Frühjahr ziemlich einvernehmlich entschieden, die drei Kliniken in einem neuen Zentralklinikum zusammenzuführen. Baden-Badens Oberbürgermeisterin Margret Mergen (CDU) nennt als Argumente unter anderem: gebündelte Fachkompetenz, keine Verlegungen für Patienten zwischen einzelnen Standorten, bessere Angebote für Erkrankte wie auch Mitarbeiter – etwa Kantine und Kinderbetreuung.

„Für Betrieb und Fortentwicklung eines Krankenhauses gibt es kein überall passendes Universalmodell“, erklärt der Hauptgeschäftsführer des Landkreistags Baden-Württemberg, Alexis von Komorowski. Berücksichtigt werden müssten regionale Bedarfe, örtliche Gegebenheiten etwa bei der Infrastruktur und der Versorgungsstruktur sowie Möglichkeiten, Personal zu gewinnen. „Daher finden die kommunalen Krankenhausträger je nach Vor-Ort-Lage unterschiedliche Antworten auf die Herausforderung, eine qualitativ hochwertige und hinreichend wohnortnahe stationäre Versorgung sicherzustellen.“ Auch Entfernung sei ein wichtiger, aber nicht allein maßgeblicher Faktor.

Weil Probleme und Herausforderungen von Ort zu Ort unterschiedlich sind, ließen sich erfolgreiche Modelle zumeist schwer übertragen. „Wichtig ist in jedem Fall, dass die Debatten rund um Krankenhäuser sachlich und fair geführt werden“, so von Komorowski. Bei dem hochkomplexen Krankenhausthema dürften gerade die Meinungsträger nicht der Versuchung des Populismus erliegen.

Auch für die Baden-Württembergische Krankenhausgesellschaft kommt es vor allem auf eine gute Kommunikation an bei Umstrukturierungen. „Man muss klar kommunizieren, wie die Versorgung in Zukunft aussehen soll“, sagt Hauptgeschäftsführer Matthias Einwag. Bei der Debatte gehe es um Notfallversorgung und Arbeitsplätze. „Das ist sehr schnell auch ein emotionales Thema.“

In Baden-Baden/Rastatt gab es coronabedingt Infoveranstaltungen online. Mehr als 200 Bürger wählten sich ein. Rund 100 Fragen und Anregungen gingen beim Klinikum Mittelbaden ein und wurden beantwortet. Zur Zukunftsplanung des Ortenauklinikums einen Landkreis weiter wurde für die „Agenda 2030“ ein umfassendes Projekt aufgesetzt, um die Menschen in der Region einzubeziehen. Einwag stellt aber klar: „Die Blaupause gibt es da nicht.“

„Wir haben zurzeit 1900 Krankenhäuser, 1200 wären genug“

Dass Krankenhäuser zusammengelegt werden, ist seit Jahren Thema. Im Sommer 2019 sorgte die Bertelsmann-Stiftung mit einer Studie zur Krankenhausdichte in Deutschland für Wirbel. Ihr Vorschlag: die Zahl auf unter 600 zu reduzieren. Im Juli sagte der Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses mit Vertretern von Ärzten, Kliniken und gesetzlichen Krankenkassen, Josef Hecken, in einem Zeitungsinterview: „Wir haben zurzeit 1900 Krankenhäuser, 1200 wären genug.“

Oft bekomme man kein Fachpersonal mehr, politische Vorgaben erschwerten den Betrieb kleiner Häuser, und weil die Medizin immer kleinteiliger werde, könnten nur größere Häuser eine breite Palette anbieten, erläutert Einwag. Und nicht zuletzt seien schon die laufenden Kosten sehr hoch – ohne dass überhaupt ein Patient behandelt werde. 40 bis 50 Prozent der Kliniken im Südwesten verbuchen nach seinen Worten seit Jahren Defizite.

Von Komorowski vom Landkreistag verweist in dem Zusammenhang darauf, dass das Lohn- und Kostenniveau im Vergleich zu anderen Bundesländern deutlich höher sei. Weder berücksichtigten die Krankenkassen das aber bei der Finanzierung der Krankenhausbetriebskosten, noch korrigiere der Bundesgesetzgeber „diesen eklatanten Missstand“ bislang.

Dass die Zusammenlegung von Kliniken auch nach kontroversen Debatten am Ende gut ausgehen kann, belegen aus Einwags Sicht Beispiele wie in den Landkreisen Schwarzwald-Baar oder Rems-Murr. Der Alb-Donau-Kreis hingegen habe sich für einen anderen Weg entschieden, sagt der Krankenhausexperte. Hier spezialisierten sich die Kliniken. Der Alb-Donau-Kreis – das wäre Geislingens angepeilte neue Heimat.