Judo

Stolz dämpft den Schmerz

Weltmeisterin Anna-Maria Wagner aus Ravensburg wächst trotz des im Halbfinale stark lädierten rechten Arms über sich hinaus und holt die Bronzemedaille.

30.07.2021

Von SID

Feuchte Augen nach dem Medaillengewinn in der 78-kg-Klasse: Anna-Maria Wagner vom KJC Ravensburg. Foto: FRANCK FIFE

Feuchte Augen nach dem Medaillengewinn in der 78-kg-Klasse: Anna-Maria Wagner vom KJC Ravensburg. Foto: FRANCK FIFE

Mit dem breitesten Grinsen und der schönsten Bronzemedaille der Welt stand Anna-Maria Wagner in Tokios Judo-Tempel Budokan, und alles war vergessen: Die jahrelange Schinderei, die Entbehrungen der Pandemie, die bittere Halbfinal-Pleite und der so böse schmerzende Arm. „Ich bin einfach nur unfassbar stolz“, sagte die 25 Jahre alte Ravensburgerin, ein „Kindheitstraum ist wahr geworden.“

Nur 48 Tage nach ihrem WM-Triumph von Budapest krönte Anna-Maria Wagner ein sagenhaftes Jahr mit ihrem ersten olympischen Edelmetall. „Diese Medaille bedeutet mir so viel“, sagte sie mit tränennassen Augen und brechender Stimme: „Es war ein so hartes Jahr, die Olympia-Verschiebung und alles, davor die drei langen Jahre für die Qualifikation. Das ist jetzt einfach unbeschreiblich.“

Als Deutschlands erste Judo-Weltmeisterin seit 28 Jahren war Sportsoldatin Wagner, die weiter für ihren Jugendverein KJC Ravensburg startet, nach Tokio gekommen, entsprechend groß waren die Erwartungen. Doch im Halbfinale der Klasse bis 78 Kilogramm drohte der Traum von der Medaille dann zu platzen: Die 15 Zentimeter kleinere Japanerin Shiro Hamada, die im Finale Gold holte, besiegte die 1,82 Meter große Modellathletin Wagner nicht nur nach gerade einmal 83 Sekunden, sie verknotete ihr auch nach allen Regeln der Kunst den rechten Arm.

„Das hat gut durchgescheppert“, berichtete Wagner, „ich habe mich ordentlich verletzt. Auf die Schmerzen musste ich erstmal klarkommen.“ Dann aber wuchs sie über sich hinaus. „Medaille! Ich bin Anna-Maria Wagner. Ich zieh das Ding durch bis zum Schluss!“, rief sie laut, nach dieser Kampfansage marschierte sie zum Bronzeduell gegen die Kubanerin Kaliema Antomarchi auf – und biss sich durch.

„Ich habe mich einfach selbst angeschrien, damit ich den Arm vergesse“, sagte Wagner: „Ich habe mir gesagt, wenn ich den Fuß auf die Matte setzte, dann ist alles scheißegal, dann gibt es nur diese Medaille – und die will ich haben.“ Und sie bekam diese Medaille, die zweite für das deutsche Team nur 24 Stunden nach Überraschungssilber des Rüsselsheimers Eduard Trippel.

„Wenn sie hungrig und durstig auf die Matte geht, kann sie weit wie eine Rakete fliegen“, hatte Bundestrainer Claudiu Pusa gesagt. Und anders als ihre Nationalteam-Kollegin Martyna Trajdos muss Pusa seine Musterschülerin nicht einmal vor dem Kampf als Aufwärmprogramm einvernehmlich ohrfeigen, damit Wagner auf der Matte durchstartet.

Zweite Karriere im Hotel

Dass die Tourismusmanagement-Studentin, die später ins Familienhotel einsteigen will, diesmal nicht wie bei der WM („Da habe ich gesehen, dass ich einem guten Tag alle schlagen kann“) bis zu Gold durchstartete, war in ihren Augen nicht mal ein Schönheitsfehler. „Das heute ist mehr wert als der WM-Titel“, sagte Wagner, denn: Der Kindheitstraum hat sich erfüllt. sid/eb