Kommentar über Tierschutz, Forscher und Medien

Stimmungsmache mit Halbwahrheiten hilft nicht

Mit dramatischer Musik unterlegt ist das Tübinger Max-Planck-Institut für Biologische Kybernetik aus der Ferne, durch einen Zaun gefilmt, als wäre nur eine geheime Aufnahme möglich. Danach folgen Auszüge aus Videos der Soko Tierschutz von Affen mit Implantaten im Kopf, Affen, die verhaltensauffällig im Käfig hin und her laufen und die sich gegen das so genannte Stangentraining wehren. Schnitt. Zu lieblich positiver Musik wird über den Vortrag von Jane Goodall in Tübingen berichtet. Auch der neueste Fernsehbeitrag von Stern TV vom Mittwochabend ist großes Gefühlskino.

15.12.2016

Von Gernot Stegert

Inhaltlich widersprechen die Fernsehmacher den Aussagen von MPI-Direktor Nikos Logothetis, die dieser im TAGBLATT am 3. Dezember geäußert hatte. Das ist der rationale Kern des Stern-Beitrags. Das Problem nur: Kein Laie kann sich ein eigenes Bild machen. Kann sein, dass die Tierschützer recht haben, vielleicht aber auch die Forscher. Oder beide nur in Teilen. Das Urteil bleibt am Ende Glaubenssache. Auch die journalistische Recherche stößt an Grenzen, wo selbst die Staatsanwaltschaft nach zwei Jahren noch kein Ergebnis hat.

Klar ist jedoch, dass Stern TV nicht nur aufklärt, sondern massiv Stimmung macht – im Sinne der Tierschützer. Da kommt es denn auch zu Halbwahrheiten. So ist der Artikel auf www.stern.de mit „Ein Ende der Affen-Versuche ist nicht absehbar“ betitelt. Der vermeintliche Wortbruch ist aber nur, was das MPI angekündigt hatte: die laufenden Versuche zu Ende zu bringen. Das ist leider nicht schon zum Jahreswechsel der Fall, sondern bis April 2017. Auch hat das MPI nicht nie zu Affenversuchen gesagt. Aber vorerst ist im Frühjahr Schluss. Die vorgebliche Unwahrheit ist insofern keine, der Skandal ist keiner.

Auch das TAGBLATT ist von verzerrenden Darstellungen betroffen. Stern TV wirft uns vor, einseitig für die Wissenschaftler Partei zu ergreifen und macht das vor allem am Gastbeitrag von Logothetis fest. Dieser sei, so der Stern-Beitrag, „nicht richtig eingeordnet“ – „richtig“ heißt: in ihrem Sinne. Dabei verschweigen die Kölner Fernsehmacher, dass die Seite mit „Dokumentation“ überschrieben war, dass TAGBLATT-Redakteurin Angelika Bachmann einen Kommentar dazu in derselben Ausgabe geschrieben hat und dass wir am 9. Dezember einen Gegen-Gastbeitrag des Soko-Tierschutz-Gründers Friedrich Mülln veröffentlicht haben. Der Besuch von Goodall war zudem Lokal-Aufmacher am gleichen Tag.

Mit einem lächerlichen Vorwurf rückt Stern TV auch das TAGBLATT in ein schiefes Licht: „Ob es Zufall ist, dass der stellvertretende Redaktionsleiter und Leiter der Öffentlichkeitsarbeit Ulrich Janßen gleichzeitig im Kuratorium des Max-Planck-Instituts sitzt, sei dahingestellt.“ Tatsächlich vertritt Janßen das TAGBLATT im MPI-Kuratorium. Doch dieses Gremium tagt nur einmal im Jahr. Dann stellen die Max Plancker den Mitgliedern (unter ihnen auch Tübingens Oberbürgermeister, der Uni-Rektor und der Leiter der „Zeit“-Wissensredaktion) aktuelle Forschungen vor. Das ist sinnvoll, weshalb Janßen das Angebot gern wahrnimmt. Aber er bekommt kein Honorar dafür, und journalistisch verpflichtet es ihn zu nichts. Mit einem einzigen Anruf hätte Stern TV das erfahren können.

Das TAGBLATT begleitet das Thema Tierversuche am MPI seit vielen Jahren in allen Facetten. Ein Dossier auf www.tagblatt.de belegt dies. Wir haben Befürworter und Gegner in Berichten und Gastbeiträgen und ungezählten Leserbriefen zu Wort kommen lassen, haben über fast jede Tierschutz-Demo berichtet. Bei diesem komplexen Thema ist uns die Debatte besonders wichtig. Wenn ein prominenter Forscher und von Tierschützern Beschuldigter wie Logothetis sich erstmals nach zwei Jahren äußern möchte, verwehren wir ihm das nicht. Es ist für die Debatte wichtig, wie auch immer man seine Äußerungen bewertet. Widerspruch ist erlaubt und erwünscht.

Stimmungsmache hilft bei diesem Thema von keiner Seite. Tiere sollen nicht leiden, auf Versuche sollte schnellstmöglich verzichtet werden. Insofern ist – sachlich geäußerter – Druck der Tierschützer hilfreich. Andererseits gibt es einen medizinischen Nutzen, zuweilen auf Umwegen. Wer Tierversuche sofort verbieten will, muss den zum Beispiel an Hirnkrankheiten leidenden Menschen eine Heilungs-Alternative bieten. Oder zumindest einräumen, dass es mehr als Schwarz und Weiß gibt.