Schwerpunkt: KI

Still und stolz

Die Tübinger Softwarefirma yWorks hat sich in den vergangenen 20 Jahren zum Weltmarktführer für die Visualisierung riesiger Datenmengen entwickelt. Ein leiser Erfolgsweg: yWorks muss nicht um Großkunden werben – Amazon, Google, Daimler & Co. kommen von sich aus auf das Unternehmen zu.

13.12.2019

Von TEXT: Birgit Pflock-Rutten|FOTO: Jörg Romanowski, Unternehmen

Zwei Charaktere mit besonderen Fähigkeiten: Der eine kann Netze spinnen, der andere die kompliziertesten Datenverflechtungen sichtbar machen: Chief Technical Officer Sebastian Müller Kopf an Kopf mit Spiderman – einem der populärsten Comic-Helden.

Zwei Charaktere mit besonderen Fähigkeiten: Der eine kann Netze spinnen, der andere die kompliziertesten Datenverflechtungen sichtbar machen: Chief Technical Officer Sebastian Müller Kopf an Kopf mit Spiderman – einem der populärsten Comic-Helden.

Am Ende einer Sackgasse im Tübinger Westen, in einem unscheinbaren Bürogebäude, befindet sich der Firmensitz von yWorks. Junge Menschen arbeiten konzentriert vor den Bildschirmen oder skypen mit Kunden. Es gibt einen Chillraum mit bunten Loungemöbeln, einen Tischkicker und eine Videokonsole, im Flur blicken die Star Wars-Helden und -Schurken von der Wand. Ein hippes Start-up-Unternehmen also? Fast. yWorks entstand bereits vor knapp 20 Jahren als Spin-off der Universität Tübingen.

Der Informatikstudent Sebastian Müller war damals in der Arbeitsgruppe „Paralleles Rechnen“, die sich mit Graphen und Datenstrukturen beschäftigte und eine Softwarelösung zur Datenvisualisierung entwickelten. Als die Studenten bei einer internationalen Konferenz in Prag die Ergebnisse ihrer Arbeit präsentierten, wurden sie von Vertretern eines großen Softwareunternehmens angesprochen: „Das ist genau das, was wir brauchen!“ Da Universitäten nicht kommerziell tätig werden dürfen, gründete Roland Wiese als treibende Kraft zusammen mit Prof. Michael Kaufmann und zwei weiteren am Projekt Beteiligten aus der Universitätsarbeitsgruppe „Algorithmik“ heraus 2000 ein Spin-off, das als „yWorks“ ins Handelsregister eingetragen und ein Jahr später in eine GmbH umgewandelt wurde. Kurz darauf bot der Geschäftsführer, der auch die Diplomarbeit von Sebastian Müller betreut hatte, dem frisch gebackenen Diplominformatiker an, in das junge Unternehmen einzusteigen. „Das probier ich!“, entschied sich Sebastian Müller, mit der Perspektive, ebenfalls Gesellschafter werden zu können.

Als sich Roland Wiese Ende 2011 dazu entschied, kürzer zu treten, trug er seine Position Sebastian Müller an. Dieser hatte allerdings schon länger die technische Leitung inne und wollte den Bereich Forschung und Entwicklung nicht verlassen. So fiel die Entscheidung zugunsten einer Doppelspitze: Sebastian Müller als CTO (Chief Technical Officer) und yWorks-Kollege Michael Pfahler für die kaufmännische Leitung. „Eine optimale Kombination!“ schwärmt Müller.

Nach und nach ist yWorks auf 30 Mitarbeiter angewachsen, die meisten von ihnen sind Softwareentwickler und Mathematiker. Sie arbeiten an den Algorithmen für die Berechnung, die Darstellung und Visualisierung von großen Datenmengen. Die aktuelle Programmbibliothek beruht immer noch auf dem Ursprungsprodukt, mit dem das Unternehmen vor 20 Jahren an den Markt gegangen ist: dem Softwaretool „yFiles“.

Kernprodukt yFiles

Ein Schwerpunkt des Produkts, das ständig weiterentwickelt wird, sind die automatischen Layoutalgorithmen, die dafür sorgen, dass große strukturierte Daten automatisch in lesbare Diagramme umgewandelt werden können. Die besonderen Herausforderungen dabei: Die Algorithmen müssen die gestellten Aufgaben schnell lösen, die Visualisierung muss auf Knopfdruck berechnet werden können und auf allen Plattformen laufen.

Die Grenzen zu KI sind dabei fließend. „Es geht darum, dem Computer beizubringen, Entscheidungen wie ein Mensch zu treffen; die Software kann automatisch entscheiden, welche Darstellungsform optimal ist und wie Elemente angeordnet werden“, erläutert Müller.

Was die Kunden von yWorks mit den Tools anfangen, „das bekommen wir leider nur selten im Detail mit“, so Müller, „wir verstehen uns quasi als Hersteller des Werkzeugs, das die Softwareentwickler unserer Kunden nach ihren Anforderungen nutzen.“

Die Einsatzmöglichkeiten sind nahezu unbegrenzt. Aufgrund ihrer Vielseitigkeit werden die Programmbibliotheken in sämtlichen Industrie- und Wirtschaftsbereichen genauso eingesetzt wie in der Forschung. Landeskriminalämter nutzen die Tools zur datenbankübergreifenden Analyse und Recherche. Google, Amazon, Microsoft, Daimler, Porsche, Bosch, Merck, EADS oder die Schweizerische Nationalbank gehören zu den Kunden von yWorks. Wie akquiriert man denn Unternehmen dieser Größe? „Die sind auf uns zugekommen“, so Müller, „bei dermaßen komplexen Aufgabenstellungen kann ein Unternehmen nicht einfach einen Softwareentwickler hinsetzen, daher schauen sich die Verantwortlichen in der Softwarewelt um, was es da schon gibt.“ Nur drei oder vier Player seien auf dem Weltmarkt – „und wir sind die besten“, sagt Müller verschmitzt.

Einen entscheidenden Anteil zum Erfolg tragen die Mitarbeiter mit ihrer langjährigen Erfahrung und ihrem komplexen technischen Know-how bei. „Und mit ihrem Herzblut“, so Müller, „jeder brennt für das Produkt.“

Demnächst kann das Unternehmen sein 20-jähriges Jubiläum feiern. Nach wie vor verzichtet yWorks auf die finanzielle Unterstützung von Investoren. „Es ist nicht unser Ziel, von Google aufgekauft zu werden, wir setzen auf gesundes Wachstum“, betont Müller und fügt hinzu: „Unsere Gesellschafter sind still und stolz.“

Graphen-Modelle

Jedes Jahr organisiert die „Graph Drawing Conference“ einen Wettbewerb mit der Aufgabe, vorgegebene Diagrammdaten zu visualisieren. Die letzten beiden Contests hat yWorks gewonnen – 2018 mit einer Grafik, die die Beziehungen zwischen 84 Charakteren aus der TV-Serie „Game of Thrones“ darstellt, in diesem Jahr mit der Visualisierung des Marvel Cinematic Universe und seiner Charaktere (https://yworks.com/marvel). Als Sponsor der Tigers Tübingen hat yWorks den „Liga Graph“ für die Basketball-Bundesliga sowie die ProA und ProB-Ligen entwickelt. Last but not least: Mit „yEd Live“ stellt yWorks ein Visualisierungsprogramm für den Privatgebrauch als kostenloses Download zur Verfügung.
Die Visualisierung zeigt die Beziehungen zwischen den 84 Charakteren der US-amerikanischen Fantasy-Serie „Game of Thrones“ bis zur achten Staffel. Die Charaktere sind nach ihren Häusern gruppiert, Verbindungen zwischen den Figuren visualisieren Ehen, Liebschaften und Eltern-Kind-Beziehungen, gepunktete Linien zeigen die Loyalität zwischen den verschiedenen Häusern, während die blutroten Verbindungen darstellen, wer durch welchen Charakter zu Tode kam. Die gesamte Darstellung wurde mit der Software-Bibliothek yFiles umgesetzt und automatisch generiert. Das Diagramm belegte beim Contest der internationalen Graph Drawing Konferenz 2018 in Barcelona den ersten Platz. Die Erläuterung des Visualisierungsprozesses ist online verfügbar unter https://yworks.com/GoT.

Die Visualisierung zeigt die Beziehungen zwischen den 84 Charakteren der US-amerikanischen Fantasy-Serie „Game of Thrones“ bis zur achten Staffel. Die Charaktere sind nach ihren Häusern gruppiert, Verbindungen zwischen den Figuren visualisieren Ehen, Liebschaften und Eltern-Kind-Beziehungen, gepunktete Linien zeigen die Loyalität zwischen den verschiedenen Häusern, während die blutroten Verbindungen darstellen, wer durch welchen Charakter zu Tode kam. Die gesamte Darstellung wurde mit der Software-Bibliothek yFiles umgesetzt und automatisch generiert. Das Diagramm belegte beim Contest der internationalen Graph Drawing Konferenz 2018 in Barcelona den ersten Platz. Die Erläuterung des Visualisierungsprozesses ist online verfügbar unter https://yworks.com/GoT.

yWorks auf einen Blick

yWorks wurde 2000 als Spin-off der Universität Tübingen gegründet. Heute zählt das Unternehmen 30 Mitarbeiter. Firmensitz ist Vor dem Kreuzberg 28 in Tübingen. yWorks hat für sein Hauptprodukt „yFiles“ Lizenznehmer (Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Universitäten) in über 60 verschiedenen Ländern. Schwerpunkte sind neben Deutschland und Resteuropa die USA, Kanada, Israel, die Schweiz, Australien, Indien und Japan. „yEd“-Nutzer gibt es über eine Million weltweit.