Michael Pfohl, ein Mann mit Idealen

Stellenunterbesetzung bringt die Staatsanwaltschaft in Nöte

Seit dem 1. April dieses Jahres leitet Michael Pfohl die Tübinger Staatsanwaltschaft. Schon wie seine unmittelbaren Vorgänger gibt er sich vom Auftreten her eher locker, ohne damit die Autorität seines Amtes preisgeben zu wollen. Wie er das macht?

12.08.2016

Von Hans-Joachim Lang

Michael Pfohl Bild: Sommer

Michael Pfohl Bild: Sommer

Tübingen. „Eigentlich wollte ich nie Staatsanwalt werden“, sagt Michael Pfohl und schaut einem verschmitzt ins Gesicht. Er hat diesen Satz nicht das erste Mal gesagt, aber bei der Laufbahn eines Juristen, die so gut wie nie aus der Staatsanwaltschaft herausführte, ist er allemal eine gute Pointe. Zumal bei einer Laufbahn, die in der Position eines Leiters der Staatsanwaltschaft Tübingen gipfelt.

Jurist wollte Pfohl aber auf jeden Fall werden. „Schon ab der 11. Klasse Gymnasium war das klar“, präzisiert er. Gemeinschaftskunde und Geschichte gehörten zu den Lieblingsfächern, Kurt Tucholsky zu den Lieblingsautoren. Auch „Tucho“ war Jurist, freilich einer, der als solcher nie im Beruf stand, sondern als einer der bedeutendsten Schriftsteller der Weimarer Republik Juristen gelegentlich mit ätzender Kritik überzog.

Pfohl hatte als angehender Jurist also ein anderes Berufsbild vor Augen, wenn er sich dennoch dieser Profession verschrieb. Das kann man aus mehr als nur seinen Worten entnehmen. Zunächst schon den vier Semestern Soziologie, die sein Jurastudium begleiteten, dann auch den juristischen Themen, die ihn interessieren, seiner unbefangenen Neugier, der kollegialen Amtsauffassung und seinen zwanglosen Freizeitbeschäftigungen. Beispielsweise am E-Bass mit gewissen Vorlieben für Songs der englischen Altrocker „Dire Straits“.

Als Michael Pfohl vor knapp vier Jahrzehnten sein Erstes Staatsexamen anpackte, hatte er bereits vergleichend ein Jahr britisches Recht in Nottingham studiert, worauf er später in seiner Doktorarbeit („Gemeinnützige Arbeit als Strafsanktion“) wieder zurückgriff. Verblüffend unbeschwert war Pfohl nach dem vierten Semester mit dem Rucksack losgezogen. „Ich habe nacheinander drei englische Unis abgeklappert.“ In Nottingham hat man ihn völlig unkompliziert aufgenommen.

Zu den eher ungewöhnlichen Stationen eines Staatsanwalts gehörte auch seine zweijährige Assistentenzeit bei dem seinerzeit weitbekannten liberalen Strafrechtsreformer Jürgen Baumann. Baumann war damals gerade nach einer Episode als Berliner Justizsenator wieder an die Tübinger Juristenfakultät zurückgekommen. „Das hat für mich wunderbar gepasst“, blickt Pfohl zurück, „er war für mich ein außerordentlich interessanter und intellektueller Lehrer“.

An der Uni, die ihn vor fünf Jahren als Honorarprofessor verpflichtete, wollte er dennoch nicht hauptberuflich bleiben. Ganz offen bekennt er, dass ihn das „Hauen und Stechen“ in einem seinerzeit beobachteten Berufungsverfahren nachhaltig abgeschreckt hat. Nach Abschluss seiner Dissertation war das erste Kind auf die Welt gekommen, zwei weitere folgten noch, da legte er größeren Wert auf eine sichere Stelle.

Seine juristischen Ideale glaubte Pohl zunächst nur im Richteramt verwirklichen zu können. Darin sah er sich bestätigt, als er während seiner Ausbildungszeit als Referendar Station bei der Staatsanwaltschaft machte. Deren Ausbilder habe ihm dringend davon abgeraten, dort beruflich Fuß fassen zu wollen. Er sei noch zu sehr von der Wissenschaft geprägt, sei ihm vorgehalten worden. Was nichts anderes war als der Argwohn eines Verfechters rigider Vergeltungsprinzipien gegenüber Straftätern.

Heutigentags passen Staatsanwälte kaum noch in die Passepartouts solcher Berufsbilder. Pfohl lernte das erstmals in der Wirtschaftsabteilung der Stuttgarter Staatsanwaltschaft kennen, wohin er nach einem Jahr als Zivilrichter ganz entgegen seinen Absichten wechseln musste. Und oh Wunder: „Nach einem halben Jahr machte es mir Spaß, dort zu arbeiten.“ Nicht zuletzt auch wegen der spannenden Verfahren und der juristischen Herausforderungen durch hochrangige Verteidiger.“

Und so kam es, wie es nicht vorauszusehen war, dass Pfohl fortan bei der Staatsanwaltschaft geblieben ist. Auch das neu im Strafgesetzbuch verankerte Umweltrecht trug dazu bei, bei der Staatsanwaltschaft mit wachsendem Interesse Verantwortung zu übernehmen. 13 Jahre vertiefte er sich bei der Stuttgarter Staatsanwaltschaft ins Umweltstrafrecht, zunächst als Dezernent für Umweltstrafsachen, dann als Abteilungsleiter für Umwelt-, Lebensmittel- und Wirtschaftsstrafsachen. Die Grenzen des Umweltstrafrechts brachte Pfohl öffentlich zuletzt vor drei Jahren bei seiner Antrittsvorlesung zu Gehör. Darin setzte er sich auch mit Fragen seiner Kinder auseinander, denen er nicht plausibel machen konnte, dass einerseits strafverfolgt werden muss, wenn jemand sein Autowrack mit benzingefülltem Tank auf einer Wiese abstellt, andererseits Kernenergie produziert werden darf, obwohl die gefahrfreie Entsorgung radioaktiven Abfalls nicht geklärt ist.

In den vergangenen 17 Jahren wurde Pfohl nacheinander stellvertretender Behördenleiter bei den Staatsanwaltschaften in Hechingen und Tübingen, sodann in einem zweiten Durchgang jeweils Behördenleiter. Hier konfrontieren ihn andere Probleme, insbesondere die Folgen der großen Personalnot. Am Beispiel Tübingen: „Gemessen am Personalberechnungssystem der Justiz waren 78 Prozent der Stellen besetzt.“ Bei 24 erforderlichen Staatsanwältinnen und Staatsanwälten fehlten sechs. Seit 1. August ist es eine Fehl-Stelle weniger. Als sich kürzlich alle Leiter der baden-württembergischen Staatsanwaltschaften erstmals mit dem neuen Justizminister Guido Wolf trafen, waren die Klagen einhellig und groß. „Noch nie war die Stellenbesetzung so schlecht“, sagt Pfohl.

Die Folge sind „wahnsinnig viele unerledigte Fälle“, im hiesigen Zuständigkeitsbereich sind 168 Fälle älter als ein Jahr, über 30 sogar mindestens drei Jahre alt. Das Ärgerliche, findet Pfohl: Die Erledigungszeiten verlängern sich dadurch, dass auch die Gerichte unterbesetzt sind. Dort müssen Anklagen bevorzugt werden, wenn verdächtigte Straftäter in Untersuchungshaft sind. Auf unsere Frage, was beispielsweise aus der Anklage der Staatsanwaltschaft vom Januar 2014 gegen neun Hautärzte der Landkreise Tübingen und Reutlingen „wegen gewerbs- und bandenmäßigem Betrug in über 100 Fällen sowie Beihilfe“ geworden sei, antwortet Pfohl: „Es ist noch nicht einmal über eine Verfahrenseröffnung entschieden.“

Zu den Problemfällen der jüngeren Zeit zählt die Einbruch-Kriminalität („massiv zugenommen“) und die Internet-Kriminalität. Mehr Polizisten könnten zwar mehr Straftaten aufklären helfen, aber: „Wenn bei uns keine Stellen besetzt werden, kommt es zu zusätzlichen Engpässen.“ Ein Kräfte zehrender aktueller Fall: die Gewalttat eines jungen syrischen Flüchtlings, der kürzlich in Reutlingen eine polnische Frau tötete. Wie berichtet, gab es Fernwirkungen bis nach Polen, wo Zweifel am rechtsstaatlichen Verhalten von Polizei und Staatsanwaltschaft geäußert wurden, weil der Täter nicht schon zu einem früheren Zeitpunkt festgenommen worden sei. „Egal wie schwierig die Situation ist“, sagt Pfohl, dem die vielfach geäußerten Zweifel zusetzen, „an den Grundfesten der Rechtsstaatlichkeit lassen wir nicht rütteln.“

Michael Pfohl · Leitender Oberstaatsanwalt

1953 geboren in Augsburg

1972 bis 1977 Jurastudium in Tübingen und Nottingham

1977/1980 Erstes und Zweites Juristisches Staatsexamen

1980 bis 1982Wissenschaftlicher Angestellter an der Uni Tübingen

1982 bis 1999 kurze Zeit Richter, überwiegend Staatsanwalt in Stuttgart, Umweltstrafrecht

1999 bis 2004 stellvertretender Leiter Staatsanwaltschaft Hechingen

2004 bis 2009 stellvertretender Leiter Staatsanwaltschaft Tübingen

2009 bis 2016 Leiter Staatsanwaltschaft Hechingen

2010 Honorarprofessor

seit 1. April 2016 Leiter Staatsanwaltschaft Tübingen