Pandemie

Stationen füllen sich bedenklich

Mit sechswöchiger Verspätung scheinen die Warnungen der Intensivmediziner bei der Politik zu fruchten. Die konkreten Auswirkungen bleiben abzuwarten.

13.04.2021

Von HAJO ZENKER

Blick in das Zimmer einer?Intensivstation: Covid-19-Patienten liegen dort häufig wochenlang. Foto: Christophe Gateau/dpa

Blick in das Zimmer einer?Intensivstation: Covid-19-Patienten liegen dort häufig wochenlang. Foto: Christophe Gateau/dpa

Berlin. Mit sechswöchiger Verspätung ist die Nachricht der Mediziner doch noch in der Politik angekommen: Nun soll eine bundesweite Notbremse per Infektionsschutzgesetz dafür sorgen, dass die Länder nicht weiter herumlockern, wo eigentlich die Alarmglocken schrillen müssten. Ob das Bundesgesetz noch hilft, das Gesundheitssystem vor der Überlastung zu schützen, muss sich zeigen. Dass es in den nächsten zwei, drei Wochen den Anstieg der Patientenzahlen nicht verhindern wird, ist klar. Denn von denen, die sich heute infizieren, werden in 14 Tagen zwei bis drei Prozent auf der Intensivstation liegen.

Es war Ende Februar, als die Intensivmediziner eine Verlängerung des Lockdowns bis Anfang April forderten. Der Schein trüge. Die sinkenden Patientenzahlen in den Kliniken würden bald wieder der Vergangenheit angehören, so Gernot Marx, Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI). Hintergrund war ein zusammen mit der RWTH Aachen entwickeltes Prognosemodell. Das hatte Lockerungsmodelle durchgespielt. Und für den schlimmsten Fall eine „unkontrollierte Spitzenbelastung“ von 25?000?Patienten errechnet – der Spitzenwert bisher war mit fast 6000 zum Jahresanfang 2021 erreicht worden. Verschiebe man jedoch die Lockerungen in den April, seien die Folgen absolut beherrschbar. Dann könne man „mit der Impfwelle vor die Infektionswelle kommen“.

Wirkung zeigt die Botschaft erst jetzt. Zunächst war die Politik nach dem zwischenzeitlichen Absinken der Zahlen gern bereit, auf Lockerungen zu setzen. Und tatsächlich schien es ja zunächst gut zu laufen. Gab es am 3. Januar noch 5762 Covid-19-Patienten auf deutschen Intensivstationen, und damit so viel wie noch nie, waren es am 13.?März laut DIVI-Register lediglich noch 2721. Dann aber ging es wieder nach oben – vor einer Woche waren es 4144 gewesen, am Montag bereits 4662. Wovon 2662 künstlich beatmet werden müssen. Marx sagt denn auch: „Es brennt.“ Die Intensivmediziner fordern einen harten Lockdown für zwei bis drei Wochen. Es gehe darum, Zeit für die Impfungen zu gewinnen. „Wir sind auf der Zielgraden, dürfen die Menschen aber jetzt nicht noch auf den letzten Metern gefährden.“ Schließlich sterbe bei den unter 50-Jährigen jeder fünfte Covid-Intensivpatient. Bei den Älteren sei es jeder zweite.

Und den DIVI-Zahlen kann man trauen. Selbst Lothar Wieler, der als Chef des Robert-Koch-Instituts eigentlich als Herr der Corona-Zahlen gilt, muss einräumen: Nur die Angaben der Intensivmediziner liefen verlässlich alle 24 Stunden „in Echtzeit“ ein, während die vom RKI publizierten Zahlen auf den Meldungen der Gesundheitsämter beruhen, die je nach Wochentag unterschiedlich zuverlässig und damit interpretierbar sind, über Feiertage erst recht. Wieler bezieht sich denn auch auf die Patientenzahlen, wenn er warnt: Die Lage sei „sehr, sehr ernst“. Falls sie sich wie im Moment weiterentwickle, könne die Stabilität des Systems nicht gewährleistet werden. Und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) fragt sich nach eigenem Bekunden, ob einige Entscheidungsträger die Grenzen die Gesundheitssystems austesten wollten. „Wollen wir wirklich sehen, ob auch 10?000?Intensivpatienten zu bewältigen sind?“

Das dürfte schon am Personal scheitern. Für Uwe Janssens, Generalsekretär der Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin, steht zu befürchten, dass bald „zahlreiche Pflegekräfte endgültig die Segel streichen – und wir können es ihnen nicht verübeln“. Warum das so ist, hatte etwa der TV-Sender Pro?7 auf Betreiben der Entertainer Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf in einer siebenstündigen Dokumentation gezeigt. Mit Hilfe einer Bodycam war eine Schicht der Krankenpflegerin Meike Ista an der Uniklinik Münster gezeigt worden, um auf Deutschlands Pflegenotstand aufmerksam zu machen.

Zunächst allerdings füllen sich die Stationen weiter. Christian Karagiannidis, der das DIVI-Register aus der Taufe gehoben hat, rechnet damit, dass bereits in knapp zwei Wochen die Zahl der Covid-19-Patienten auf den Intensivstationen „auf die 6000 zugeht“. Damit wären es noch etwas mehr Patienten als zum Jahreswechsel. „Und zu dieser Zeit hatten die Intensivmediziner schon zahlreiche Patienten von Ost nach Nord und von Mitte nach Nord verlegt, um überhaupt noch jeden Menschen behandeln zu können.“ Bereits heute hätten Städte wie Bonn oder Bremen „kaum noch freie Betten für den nächsten Herzinfarkt, Verkehrsunfall oder Corona-Patienten.“

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Erstellt:
13.04.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 05sec
zuletzt aktualisiert: 13.04.2021, 06:00 Uhr

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