Vier Erdrutsche am Albtrauf

Starke Regenfälle brachten bei Mössingen Berghänge in Bewegung

Die Blumenstadt Mössingen wird auch noch Erdrutschstadt. Der 30 Jahre alte Rutsch am Hirschkopf bekam am Sonntag tagsüber drei Kollegen, den größten auf einer Fläche von ungefähr 1,5 Hektar. Ehe am Abend auch noch oberhalb Öschingens Alarm ausgelöst wurde.

02.06.2013

Von Hans-Joachim Lang

Armin Dieter, der mit Abstand bekannteste Spezialist für den Mössinger Bergrutsch, erlebte gestern aufregende Stunden. Für den Nachmittag hatte er, wie jeden ersten Sonntag im Monat, eine öffentliche Führung angekündigt. Morgens hatten ihm Anrufer gemeldet, dass etwa ein Kilometer Luftlinie vom Bergrutsch am Hirschkopf entfernt, der vor 30 Jahren nach tagelangem Regen entstand, ebenfalls der Hang zu rutschen begann. An Ort und Stelle angekommen stellte Dieter fest, dass es zu gefährlich war, das Gebiet zu begehen.

Um die Mittagszeit wollte der Naturfotograf abklären, inwieweit eine Führung am alten Bergrutsch ohne Bedenken möglich sei. Draußen stellte er fest, dass das Terrain sicher war. „Von irgendwoher hörte ich plötzlich Bäume krachen“, teilte er unserer Zeitung mit. „Ich sah durch mein Teleobjektiv, und genau im selben Moment ging am Farrenberg eine große Fläche ab.“ Sekunden später hatte er die ersten Bilder dieses Naturereignisses auf dem Speicher seiner Kamera.

Als Armin Dieter am Nachmittag eine Gruppe von rund 30 Naturfreunden zum alten Bergrutsch führte, der seit 1988 unter Naturschutz steht, hatten diese das neue Spektakel an der Südwestseite des Farrenbergs vor Augen, das um diese Zeit noch nicht zur Ruhe gekommen war. Von seiner Ausdehnung ist es bei weitem kleiner als der Geotop, durch den die Gruppe auf dem Rundwanderweg geleitet wurde, auch deutlich kleiner als der gestrige Rutsch oberhalb des Talheimer Wasserwerks. „Es könnte sein, dass dort noch mehr in Bewegung kommt“, wagte Dieter gestern am frühen Abend am Telefon eine Prognose – ohne ahnen zu können, was andernorts noch folgen würde. Damit hatte Dieter noch nicht einmal den Bergrutsch beim Talheimer Wasserfall auf Burladinger Markung gemeint, der ihm im Laufe des Nachmittags noch vor dem Telefonat mit unserer Zeitung bekannt wurde.

Das letzte Großereignis dieser Art am 12. April 1983 hat Armin Dieter ein Lebensthema beschert. Seit sich am Hirschkopf auf einer Länge von 600 Metern Erde samt Bäumen, Felsbrocken und Geröll talwärts bewegte, erforscht er unermüdlich das Gelände. Es umfasste zunächst eine Fläche von 25 Hektar, die sich in den folgenden zwei Wochen verdoppelte, sich im Laufe der nächsten Jahre noch auf 80 Hektar ausdehnte und mittlerweile mit dem Prädikat „Nationaler Geotop“ ausgezeichnet ist.

In den ersten zehn Jahren danach beschäftigte nichts so sehr den Alltag des jetzt 55-Jährigen wie die Beobachtung der Natur an dieser Stelle als einem Modellfall für die fortschreitende Entwicklung der Fauna und Flora. Er schrieb Bücher zu diesem Thema und führte bereits 50 000 Besucher.

Ob er nun sein Betätigungsfeld ausweiten wird, bleibt abzuwarten. „Ganz so intensiv wie am Hirschkopf werde ich mich bestimmt nicht mehr einlassen“, sagt der studierte Diplom-Verwaltungswirt und ausgebildete Industriekaufmann. Neue Erkenntnisse werden ohnehin nicht zu erwarten sein, da der Ablauf ähnlich ist. Aber er wird die weitere Entwicklung auf keinen Fall unbeteiligt an sich vorbeiziehen lassen. Als dann am späteren Abend die Nachricht vom vierten Erdrutsch kam, hielt es den Spezialisten nicht in der heimischen Stube, rasch eilte er nach Mössingen.

Die Feuerwehr, die schon wegen des Hochwassers kein ruhiges Wochenende hatte, sperrte am Nachmittag die Gefahrenorte ab, wie Sprecher Thomas Lauria am Spätnachmittag auf Anfrage mitteilte. Die relative Ruhe, die eingekehrt war, war die vorm nächsten Sturm.