Boris Palmer spricht über Wohnraum für alle

Städtischer Neujahrsempfang 2018 im Festsaal der Universität Tübingen

OB Boris Palmer: Die GWG baut 500 Wohnungen, das Französische Viertel wird erweitert. Die Gäste hatten viel Diskussionsstoff.

12.01.2018

Von Gernot Stegert und Sabine Lohr

Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer hat am Freitagabend in seiner Rede beim Neujahrsempfang der Stadt vor 900 Gästen in der Neuen Aula der Universität bezahlbaren Wohnraum in den Mittelpunkt gerückt. Ausführlich stellte er das Programm „Fairer Wohnen“ vor, das der Gemeinderat tags zuvor beschlossen hat. Es sieht viele Regulierungen des Wohnungsmarktes vor. Demnach unterliegen, so Palmer, künftig 90 Prozent der Mietwohnungen auf städtischem Grund der Preisbindung. Darüber hinaus verkündete der OB einen Strategiewechsel der städtischen Wohnungsbaugesellschaft GWG. „Im Vordergrund steht im kommenden Jahrzehnt der Neubau.“ Die Zahl der GWG-Wohnungen soll in zehn Jahren um 25 Prozent auf 2500 steigen.

Und noch eine Neuigkeit hatte Palmer parat: Das Französische Viertel wird erweitert. Die Straßenmeisterei, die sich noch auf dem Landesgrundstück zwischen Stadtwerken in der Eisenhutstraße und B27 befindet, „wird noch dieses Jahr nach Dußlingen verlagert“. Erste Pläne für eine Bebauung und Verbindung mit dem Lorettoviertel liegen seit Jahren vor (wir berichteten).

Palmer wunderte sich gegen Ende der Rede darüber, dass zwischendurch niemand geklatscht hatte. Vielleicht seien seine Vorschläge einfach zu kommunistisch, meinte er. Am Ende aber gab es dann doch herzlichen Beifall – auch für das Jugendsinfonieorchester der Musikschule Tübingen unter der Leitung von Georg Köhler. Das hatte zu Beginn der Veranstaltung sowie vor und nach Palmers Rede klassische Werke gespielt.

Und dann ging es hinaus in die Wandelhalle, in der wie immer beim Neujahrsempfang von Wandeln keine Rede sein konnte. Das Gedränge war groß, überall standen Grüppchen zusammen, mit Gläsern voller Wein aus Aix und Perugia in der Hand. Und fast überall wurde über Palmers Rede gesprochen.

Der ehemalige FDP-Bundeswirtschaftsminister Helmut Haussmann etwa reagierte auf Palmers-Regulierungsvorschläge mit Verständnis. Die Wohnungspreise dürften nicht immer weiter steigen. Allerdings dürfe man nicht vergessen, woher das Geld für ein Angebot unter Marktpreis komme.

Der ehemalige Bundes-Fraktionsvorsitzende der Grünen Rezzo Schlauch war, wie er sagte, extra nach Tübingen gekommen, „um eine gute Rede“ zu hören. Er sei nicht enttäuscht worden, Palmer habe „gewohnt präzise, realistisch, ohne ideologisches Geschwurbel und auf den Punkt gesprochen“. „Ich weiß, er ist umstritten, aber heute, da war er so klar.“

Ein 81-jähriger Tübinger, der seinen Namen nicht nennen wollte, fand die Rede „net schlecht“, gestand dann aber, dass sie ihm als Hauseigentümer „natürlich nicht“ gefallen habe. „Der Palmer hat immer so Tendenzen, mal ist er mehr rechts, mal mehr links. Heut war er ganz links.“

Etwas enttäuscht war die 67-jährige Ruth („Ruth, das reicht“). Die Tübingerin war zum ersten Mal bei einem städtischen Neujahrsempfang und hatte einen Rückblick aufs vergangene Jahr erwartet. Klar sei das Mietproblem aktuell, aber gehöre das zu so einem Empfang? Und was ihr auch nicht gefallen hat: Der lange Begrüßungsmarathon. „Stimmt“, pflichtete der 33-jährige Matthias Weber bei. „Zu viele wichtige Leute.“ Die Themen hätten aber gepasst, fand er. „Und Palmers Ideen kann ich alle unterschreiben.“

Eine Gruppe Jurastudenten war geradezu hingerissen. „So eine programmatische Rede, dass passt zu Tübingen“, fand der 21-jährige Konrad Schmauder. Palmers Vorschläge, die Mietpreise zu regulieren, fand er allerdings nicht so gut: „Ich glaube, da gäbe es auch andere Möglichkeiten“, sagte er, nannte aber keine. Seine Kommilitonin Emmi Blessing, 20, fand das Thema „sehr gut“. „Uns als Studenten trifft das ja besonders.“ Und solche sozialen Ideen wie die von Palmer seien einfach gut. Nur der Vorschlag, der Staat solle die Miete regeln, habe „ein bissle gehinkt.“

Johann, 21 – auch er wollte seinen Nachnamen nicht sagen – geriet ins Schwärmen: „Ich fand ihn sehr gut. Das ist ein Realpolitiker, dem es nicht darum geht, wem er gefällt, sondern der einfach pragmatische Lösungen hat.“ Palmer habe für ihn das Zeug zur Bundespolitik, denn „der hat auch konservative Wähler“. Und wenn er für die Grünen keine Bundespolitik machen könne, „dann soll er doch einfach zur CDU oder FDP wechseln, das ist doch kein Problem“.