Tübingen · Justiz

Staatsanwaltschaft prüft die neue Rechtslage

Die Strafverfolgungsbehörden stellen sich auf die neuen Herausforderungen bei der Pandemie-Eindämmung ein.

18.03.2020

Von job

Türschild der Staatsanwaltschaft Tübingen Bild: Hans-Jörg Schweizer

Türschild der Staatsanwaltschaft Tübingen Bild: Hans-Jörg Schweizer

Am Sitz der Tübinger Staatsanwaltschaft in der Charlottenstraße gelten seit kurzem neue Regeln. Wo sonst in den sehr beengten Verhältnissen die Staatsanwälte und sonstigen Mitarbeiter Büro an Büro dicht aufeinander sitzen, ist derzeit deutlich weniger Betrieb. Denn um das Ansteckungsrisiko zu minimieren, sind die allermeisten Anklagevertreter nach Hause geschickt worden und arbeiten von dort aus: „Jeder wurde angehalten, eine dicke Akte mitzunehmen, zu der er noch nicht gekommen ist“, erklärt der leitende Oberstaatsanwalt Michael Pfohl. Die meisten, wenn auch nicht alle, hätten auch von daheim aus Zugriff auf das interne System.

Damit die Zusammenarbeit mit der Polizei weiter funktioniert und beispielsweise laufende wichtige Ermittlungen sowie Haftsachen weiter bearbeitet werden können, ist jeden Tag aus jeder Abteilung ein Dezernent und eine Servicekraft im Haus. Diese Regeln sollen zunächst bis zum 19. April gelten.

Derzeit beschäftigen sich die Strafverfolger aber auch mit der neuen Rechtslage, die sich durch die scharfen Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus ergeben hat. Dabei stützen sie sich einerseits auf das Strafgesetzbuch: Wenn man beispielsweise um die eigene Infektion weiß und durch Missachtung der Hygiene andere ansteckt, kann das als fahrlässige Körperverletzung gewertet werden. Tut man es mit Absicht, wäre es vorsätzliche Körperverletzung.

Wie aber genau sollen Verstöße gegen die Anordnungen des Landes geahndet werden? Als Grundlage nehmen die Staatsanwaltschaften dafür das Infektionsschutzgesetz (IfSG), auf das sich die Landesregierung auch beruft. Das ist kein Text, mit dem sich Strafverfolger bislang genauer beschäftigt hätten. „Da gibt es eigene Strafnormen“, erläutert Pfohl, „wir prüfen das gerade.“

Derzeit geht die Staatsanwaltschaft davon aus, dass auch wenn der aktuelle Coronavirus im Gegensatz zu anderen Krankheiten wie Cholera oder Milzbrand nicht explizit genannt wird, trotzdem die gleichen Strafvorschriften gelten. Darin werden beispielsweise absichtliche Verstöße gegen die Meldepflichten, die zu einer Verbreitung des Erregers führen, mit Geldstrafen oder Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft. Diese Vorschriften betreffen vor allem Mediziner und Labore. Aber auch Privatpersonen werden durch das Gesetz erfasst: So muss man als Erkrankter, der zuhause isoliert ist, Vertreter des Gesundheitsamtes in die Wohnung lassen und ihnen Auskunft über Kontaktpersonen geben. Stirbt jemand, und es besteht der Verdacht einer ansteckenden Krankheit als Ursache, ist man verpflichtet, einer Obduktion zuzustimmen.

Laut Paragraf 75 macht sich auch strafbar, wer einer Anordnung der Corona-Verordnung zuwiderhandelt. Das könnte beispielsweise der Besuch eines Infizierten in einem Altenheim sein, weil er dadurch besonders gefährdete Personen zu nahe käme. Man verstößt aber auch gegen das Gesetz, so die derzeitige Auffassung der Strafverfolger, wenn man verbotenerweise seinen Laden öffnet oder eine Versammlungen organisiert, an der mehr Personen teilnehmen als erlaubt. Darauf stehen Geldstrafen oder bis zu zwei Jahren Haft. „Da könnte einiges auf uns zu kommen“, sagt Pfohl.

Das Gesetz regelt außerdem, dass die Freiheit der Person eingeschränkt werden kann, wenn jemand gegen Quarantäne-Anordnungen verstößt. Kranke können in speziellen Bereichen oder Kliniken abgesondert untergebracht werden. Auch die Ausübung ihres Berufs kann ihnen verboten werden. Der Paragraf 30 könnte außerdem als Grundlage einer allgemeinen Ausgangssperre dienen. Denn er regelt auch, dass „Kranke, Krankheitsverdächtige“ und „Ansteckungsverdächtige (...) in sonstiger geeigneter Weise abgesondert“ werden dürften. Und Paragraf 32 ermächtigt die Landesregierungen ausdrücklich zum Erlass von Verordnungen, die unter anderem die Grundrechte Freiheit der Person und der Freizügigkeit einschränken.

Positiv getestete Mitarbeiter seiner Behörde gebe es bislang nicht, erklärte Pfohl. Einige arbeiten allerdings deshalb freiwillig daheim, weil sie sich an die Empfehlungen des Bundesgesundheitsministeriums halten. Sie waren innerhalb der vergangenen 14 Tage Skifahren. In Österreich.