Ausstellung

Sprießen, wachsen und vergammeln

Was für erstaunliche Dinge passieren, wenn sich Künstler um organische Prozesse kümmern.

22.11.2021

Von Burkhard Meier-Grolman

Mona Schmidtke und Raphael Masche züchten Pilze.

Mona Schmidtke und Raphael Masche züchten Pilze.

Faszinierend, im Kunstmuseum Heidenheim zu sehen, wie da aus in der Luft hängenden Plastikkissen jede Menge Speisepilze wachsen. Beiläufig erfährt man von Direktor Marco Hompes, dass eine andere Arbeit in der Ausstellung „Wachsende Formen – Organische Prozesse in der Kunst“ (bis 6. März 2022) aufzeigt, dass Pilzkulturen auch mühelos nukleare Katastrophen wie Tschernobyl überstehen können.

An der nächsten Stellwand dann weiteres Erstaunen, wenn ein weißer Marmorblock in einem salzsäurehaltigen Aquarium langsam die Fassung verliert und sich wie eine Brausetablette auflöst. Auf einem Sockel in der Ecke findet sich ein einsamer und ziemlich ramponierter Laufschuh, aus dessen Verschnürung fröhlich dunkelgrüne fleischige Sukkulenten sprießen.

Aber nicht genug der Überraschungen: Attilio Tono übergießt wandhohe Gipsstelen mit Rotwein, Cola sowie anderen Getränken und Tinkturen, um Farbschlieren für seine Skulpturen zu erhalten. Daniel Bräg sucht sich für die Demonstration organischer Prozesse eine volksnahere Methode: Er lässt in dicken Kugelflaschen Apfelmost gären, am liebsten würde man sich ein Gläschen davon gönnen. Der Österreicher Klaus Pichler tarnt sich als Werbefotograf und arrangiert wunderhübsch dekorierte Früchteschalen: Wassermelone, Orangen und Ananas haben aber nur einen Makel, Vanitas hat sie angefasst und so schimmeln sie munter vor sich hin.

Infizierte Meisterwerke

Die Aufnahmekapazität des Besuchers gerät ob all der Erstaunlichkeiten schnell an ihre Grenzen. Schade, denn so fällt es schwer, sich auf die eigentliche Attraktion dieser Schau zu konzentrieren, auf Wolfgang Ganters mit Bakterienstämmen infizierte Dias, auf denen einmal Albrecht Dürers „Selbstporträt mit Distel“ oder Leonardo da Vincis „Jungfrau der Felsen“ abgelichtet wurde. Wie diese Bakterien die Gelatineschicht der Filme und damit auch die Porträts zu einem hoch ästhetischen und komplexen neuen Bilduniversum verwandeln, ist ein fantastisches Kunsterlebnis.

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Erstellt:
22.11.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 1min 52sec
zuletzt aktualisiert: 22.11.2021, 06:00 Uhr

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