Sommer-Open-Air

Songtexte, die die Freiheit der Kunst martern

Mit 187 Strassenbande geht Rottenburg dieses Jahr an die Grenzen des Erträglichen, doch auch Limp Bizkit langen sprachlich zu. Wie man erfolgreich dagegen protestiert, kann die Stadt von Paderborn lernen.

17.08.2018

Von Gert Fleischer

Die fünf Mitglieder der 187 Strassenbande: Sa4, Gzuz, Bonez MC, Maxwell und LX. Bild: Vaddi Concerts

Die fünf Mitglieder der 187 Strassenbande: Sa4, Gzuz, Bonez MC, Maxwell und LX. Bild: Vaddi Concerts

Wollte man nur annähernd in die Sprachgewalt der Gruppen verfallen, die am Samstag und in Sonntag beim Rottenburger Sommer-Open-Air auftreten, dann wird die Stadt am Wochenende zum Vorhof der Hölle. Über die Hamburger Rapper 187 Strassenbande, die morgen Abend auftreten, wurde schon viel geschrieben, doch auch die US-amerikanische Nu-Metal-Band Limp Bizkit, die den Sonntagabend beschallt, hat lyrisch einiges im Koffer.

Limp Bizkit mit ihrem Frontmann Fred Durst gibt es seit 1994. Ums Jahr 2000 herum hatte die Gruppe ihre größten Erfolge, bekam international Auszeichnungen als beste alternative Band, 2001 in Deutschland den „Echo“ als beste internationale Metalcrew. Drei Grammy-Nominierungen und mehrfache Chart-Spitzenplätze, zwei Mal auch in Deutschland, stehen in ihrer Statistik. Der Stil von Limp Bizkit ist ein Mix aus treibenden Gitarrenwänden und funkigen HipHop-Elementen. Nu Metal ist eine Neuinterpretation der Crossover-Musik aus den frühen 90ern.

Die Angaben über die Zahl der verkauften Tonträger schwankt zwischen 20 und 40 Millionen Stück, das ist etwa die Größenordnung von Peter Maffay. Zum Vergleich: Die Beatles und Elvis Presley liegen zwischen 600 Millionen und einer Milliarde verkaufter Tonträger, Michael Jackson zwischen 400 und 800 Millionen, Abba 370 Millionen, Eminem 220 Millionen, Rolling Stones 200 Millionen.

Limp Bizkit keine Chorknaben

Die Texte von Limp Bizkit sind, soweit es unsere Stichprobe ergab, auch recht ruppig. Da es sich um eine US-Band handelt, sind die Rückschlüsse auf das gesellschaftliche Umfeld, in dem diese Texte entstanden, nicht so direkt übertragbar wie bei 187 Strassenbande aus Hamburg.

Im Song „Hot Dog“ singt Limp Bizkit: „Es ist eine beschissene Welt, ein beschissener Platz, / jeder wird nach seinem beschissenen Gesicht beurteilt, / bescheuerte Träume, ein beschissenes Leben, / ein beschissenes Kind mit einem verdammten Messer, / beschissene Mütter und beschissene Väter, / ein beschissener Polizist mit einem beschissenen Abzeichen, / ein beschissener Job mit einer beschissenen Bezahlung / und ein beschissener Boss ist ein beschissener Tag / die beschissene Presse und die beschissenen Lügen“.

Das zweite Beispiel ist „Break Stuff“, ein Song, den mancher Fan als ideal geeignet für den Frustabbau hält:

„Es ist mal wieder einer dieser Tage, an denen du gar nicht erst aufstehen willst. / Alles ist beschissen. Jeder kotzt dich an. / Du weißt nicht genau warum, aber am liebsten würdest du jemandem den Kopf abhacken. / Kein menschlicher Kontakt, und wenn du dich beeinflussen lässt, dann wird dein Leben eingeengt... / Am besten bleibst du einfach weg von mir, du Arschloch.“

Abbild der Jugend-Subkultur

Die vereinzelten Proteste in Rottenburg gegen den Auftritt von 187 Strassenbande aus dem Gemeinderat und vom Bischöflichen Ordinariat gehen durch die Szene-Medien. „Wo der Gartenzwerg noch die Einhaltung der Kehrwoche überwacht, sind ein paar Lokalpolitiker mächtig empört: Sie erwarten den Ansturm der Gangstarapper.“ Das schreibt das in Konstanz gemachte Portal „laut.de“. Andere wie „rap.de“(„187 Strassenbande mal wieder unerwünscht“) oder „Hiphop.de“ bleiben sachlich.

„Bento“, das zu „Spiegel online“ gehört, zitiert Marc Oßwald, den Geschäftsführer von Vaddi Concerts Tübingen, dem Veranstalter des Rottenburger Sommer-Open-Airs. Der hatte dem „Schwarzwälder Boten“ gesagt: „Natürlich sind die Texte sexistisch“, doch bilde das die Jugend-Subkultur ab. Das falle unter die Kunst-Freiheit und müsse von einer Gesellschaft ausgehalten werden. Die Grenze liege bei Oßwald da, wo es antisemitisch werde. Die Rapper Kollegah und Farid Bang würde er wegen ihres Antisemitismus nicht buchen (siehe „Staatsanwaltschaft und ...“).

187 Strassenbande, die in Deutschland derzeit in der Musikbranche über alle Genres und Interpreten hinweg zu den erfolgreichsten Gruppen gehört, setzt ihr Image der Bösen in der Realität um. Provokation gehört zur gezielt eingesetzten Umgangsform. Diverse Straftaten wurden den Bandmitgliedern zur Last gelegt, Gzuz (gesprochen wie „Jesus“ auf Englisch) und LX haben Haftstrafen hinter sich.

Peta zeigte Tierquälerei an

Übertriebene Aufregung gab es zuletzt, weil Gzuz einen Schwan geohrfeigt haben soll. Die Tierrechtsorganisation Peta stellte Strafanzeige, doch die Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen laut „Bild“ bereits eingestellt. Zu harmlos war der Klaps, wie das von Gzuz gemachte Video beweist.

Als Kopf der Band gilt Bonez MC, die meisten Schlagzeilen macht gerade Gzuz. Dieses Jahr veröffentlichte er auf Youtube USA ein Musikvideo zur Single „Was hast du gedacht“. 3,8 Millionen Aufrufe innerhalb der ersten drei Tage hatte er.

Im Mai wurde 187 Strassenbande in Paderborn – Bischofssitz wie Rottenburg – von einen geplanten Konzert ausgeladen. Beim AStA Sommerfestival an der Universität sollte die Gruppe rappen. Als das im April bekannt wurde, begannen – anders als in Rottenburg – sofort die Diskussionen. Die Hochschulleitung distanzierte sich von den Texten der Band. Uni-Präsidentin Birgitt Riegraf sagte: „Diese sind menschenverachtend, sexistisch und rufen zu Gewalt und Vergewaltigung auf.“ Verbieten wollte sie den Auftritt aber nicht, man müsse einsehen, dass diese Texte gefragt sind.

Das Graduiertenforum der Fakultät für Kulturwissenschaften erklärte, dass die Universität „fraglos kein Ort für frauenfeindliche, homophobe sowie gewalt- und drogenverherrlichende Stimmen“ sei. Gegen 187 Strassenbande wandten sich auch die Juso-Hochschulgruppe, das autonome Frauenprojekt „Mia“ und der Projektbereich „Eine Welt“, berichtete die „Neue Westfälische“. Es folgte eine Podiumsdiskussion, ausgerichtet von der Universität Paderborn.

Der AStA lud 187 Strassenbande schließlich aus, jedoch nicht aus inhaltlichen Gründen, sondern weil Störaktionen angekündigt waren und die Veranstalter um die Sicherheit fürchteten.

Bühnenaufbau auf dem Eugen-Bolz-Platz. Bild: Fleischer

Bühnenaufbau auf dem Eugen-Bolz-Platz. Bild: Fleischer

Staatsanwaltschaft und Bundesprüfstelle zu Gangsta-Rap, Kunst und Verrohung

Wie Hiphop-Texte gelegentlich aussehen können, wurde im April bei der Verleihung des Musikpreises „Echo“ auch einem bürgerlichen Publikum bekannt. Die Rapper Kollegah und Farid Bang hatten einen Echo in der Sparte Hip-Hop/Urban National bekommen. Sänger Campino von den Toten Hosen, kein Vertreter volkstümlicher Musik, protestierte noch bei der Gala mit einer langen Erklärung. Es ging um Textpassagen wie „Mein Körper definierter als von Auschwitz-Insassen“ oder „Mache wieder mal ’nen Holocaust, komm‘ an mit dem Molotow“. In den Tagen nach der Preisverleihung gaben etliche frühere Preisträger ihren Echo zurück. Am 24. April beschloss der Vorstand des Bundesverbands Musikindustrie, die Echo-Preisverleihung einzustellen. Man wolle „keinesfalls, dass dieser Musikpreis als Plattform für Antisemitismus, Frauenverachtung, Homophobie oder Gewaltverharmlosung wahrgenommen wird“. Kollegah übrigens trat vor vier Jahren in der Rottenburger Festhalle auf – vor gerade mal 150 Zuschauern beim insgesamt floppenden „Brunnenwasserfescht“.

Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf ermittelte nach der Echo-Verleihung wegen Volksverhetzung gegen Kollegah und Farid Bang. Mitte Juni stellte sie die Ermittlungen ein. Zwar seien die Liedtexte „voller vulgärer, menschen- und frauenverachtender Gewalt- und Sexfantasien“, weil sie aber damit dem Genre Gangsta-Rap gerecht werden, sei dies nicht strafbar. Auch für diese Musikrichtung gelte die in der Verfassung verankerte Kunstfreiheit, hieß es in der Begründung. Die Möglichkeit, gegen diese Entscheidung Beschwerde einzulegen, nutzte anscheinend niemand.

Etwas strenger war die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien im Jahr 2012. Auf Antrag des Jugendamts Bremen indizierte sie das Album „Jung, brutal, gutaussehend“, das Kollegah und Farid Bang zusammen aufgenommen hatten. Grund waren die drastischen Gewaltdarstellungen und deren verrohende Wirkung auf Kinder und Jugendliche. In der Folge durfte das Album nicht mehr an Minderjährige verkauft und öffentlich im Handel ausgelegt werden. Die Indizierung kam allerdings erst drei Jahre nachdem das Album erschienen war. Hier eine Textpassage aus dem Song „Gangbanger“ von diesem Album (Bitch heißt Hure, Dick ist ein Penis, die Desert Eagle ist eine besonders große, zwei Kilo schwere Pistole):

„Bitch, mach die Beine breiter, ich befriedige dich /

Mit riesigem Dick, zieh‘ die Desert Eagle, poliere den Griff /

und schieb‘ sie dir mit Gewalt in den Mund /

Gebe dir dann noch ein ‚Gute Reise!‘ mit auf den Weg

und mache dich kalt ohne Grund vor all deinen Jungs./

Nutte, du musst Rechnungen zahlen.“

Zum Artikel

Erstellt:
17.08.2018, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 5min 18sec
zuletzt aktualisiert: 17.08.2018, 01:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Sie möchten diesen Inhalt nutzen? Bitte beachten Sie unsere Hinweise zur Lizenzierung.

Push aufs Handy

Die wichtigsten Nachrichten direkt aufs Smartphone: Installieren Sie die Tagblatt-App für iOS oder für Android und erhalten Sie Push-Meldungen über die wichtigsten Ereignisse und interessantesten Themen aus der Region Tübingen.

Newsletter


In Ihrem Benutzerprofil können Sie Ihre abonnierten Newsletter verwalten. Dazu müssen Sie jedoch registriert und angemeldet sein. Für alle Tagblatt-Newsletter können Sie sich aber bei tagblatt.de/newsletter auch ohne Registrierung anmelden.
Das Tagblatt in den Sozialen Netzen
    
Faceboook      Instagram      Twitter      Facebook Sport
Newsletter los geht's
Nachtleben, Studium und Ausbildung, Mental Health: Was für dich dabei? Willst du über News und Interessantes für junge Menschen aus der Region auf dem Laufenden bleiben? Dann bestelle unseren Newsletter los geht's!