Afghanistan

Sogar die Taliban lachten

Der Schauspieler Nasir Formuli kam zur Preview der Doku „True Warriors“ über die Kabuler Kulturszene ins Kino Arsenal. Dass sich neuerdings der IS in Afghanistan festgesetzt hat, mache die politische Lage noch unberechenbarer, sagt er.

30.03.2018

Von Dorothee Hermann

Nasir Formuli als Puppenspieler.Bild: Brot+Zwiebel-Filmproduktion

Nasir Formuli als Puppenspieler.Bild: Brot+Zwiebel-Filmproduktion

Afghanistan ist mehr als Terroranschläge und ein Leben in Angst. Doch von den Menschen, die sich der Gewalt entgegenstellen, erfährt man meist wenig. Das wollen die Hamburger Filmemacher Ronja von Wurmb-Seidel und Niklas Schenck ändern. Sie haben sich in der Kulturszene von Kabul umgesehen, in der angespannten Atmosphäre kurz nach dem Selbstmordanschlag eines 17-Jährigen auf das französische Kulturzentrum am 11. Dezember 2014. Zur Tübinger Premiere ihrer Doku „True Warriors“ (Wahre Krieger) am Mittwochabend auf Einladung der Bundestagsabgeordneten der Linken Heike Hänsel kamen Schenck und der afghanische Puppenspieler, Regisseur und Schauspieler Nasir Formuli ins Tübinger Kino Arsenal. Er gehört zum Theaterkollektiv Azdar, das im französischen Kulturzentrum gerade ein Stück über Selbstmordattentäter aufführte, als die Bombe detonierte.

Geboren 1984 in Kabul, lebt Formuli mittlerweile in Deutschland. Ein Stipendium für die Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch führte ihn nach Berlin. Im Film berichtet er von seinen Erfahrungen mit Zuschauern in den afghanischen Provinzen. Mit den örtlichen Taliban, die zunächst strikt gegen eine Aufführung waren, einigten sich die Künstler schließlich: „Okay, schaut euch unser Stück an. Wenn es euch nicht gefällt, hören wir auf.“ Doch die Vorführung löste eine unerwartete Reaktion aus: „Sie haben gelacht. Diese Männer haben gelacht!“ Einer sei nach der Vorführung auf ihn zugekommen und habe ihn umarmt: „Ich bin 40, aber so etwas habe ich noch nie gesehen.“ Doch diese Bühnenwirkung stellt sich nicht immer ein. „Es gibt andere, die wollen uns lieber umbringen.“

2011 wurde Formuli als einer der besten Schauspieler Afghanistans ausgezeichnet. In einer Szene sieht man ihn mit der Handpuppe eines Uhu. Der Vogel sieht aus, als wolle er gleich zu einem sprechen, und setzt dann tatsächlich an: „Salam aleikum, ich bin eine Eule. Ich will euch eine Geschichte erzählen.“

In Berlin war Formuli unlängst an der Inszenierung „Malalai – Die afghanische Jungfrau von Orléans“ beteiligt. In dem Stück tritt die Freiheitsikone in dreifacher Gestalt auf: als Politikerin Malalai Joya (schon mehrfach in Tübingen zu Gast); als Malalai von Maiwand, jene Sanitäterin, die 1880 den Kampf gegen die britische Besatzungsmacht wendete, und als junge Nobelpreisträgerin Malalai, der Taliban in den Kopf geschossen hatten, weil sie für Mädchen das Recht auf Bildung einforderte.

Der Afghanistan-Konflikt sei komplex, sagte Formuli im Gespräch mit den etwa 60 Zuschauern. „Man wird immer Leute treffen, die offen sind.“ Schwierig werde es jedoch schon, die Unterstützer der Taliban festzustellen: Pakistan biete Trainingscamps und Rückzugsgebiete. „Aber woher kommt das Geld?“ Aktuell sei die Situation noch komplizierter geworden. „Der IS ist in Afghanistan.“ Niemand wisse, wie die Terrormiliz ins Land gekommen sei. „Mit dem Flugzeug?“ Der IS sei kein einheimisches Gewächs. „Wie konnten sie sich festsetzen?“

Dazu kämen innerafghanische Spannungen – zwischen dem Norden und dem Süden, Tadschiken und Paschtunen – sowie der Streit mit Pakistan um die Grenzlinie. Wie Formuli leben fast alle Mitspieler seines Kabuler Bühnenkollektivs derzeit in der Bundesrepublik. „Das Ziel ist immer, sich zwischen den Welten zu bewegen“, sagte Filmemacher Niklas Schenck. Das funktioniert nicht immer: Mitunter bekommen afghanische Künstler Festivaleinladungen, aber kein Visum für Deutschland.

Sie müssen ohne Sicherheitskordon auskommen

Afghanistan anders sichtbarmachen: Das erhofft sich die Bundestagsabgeordnete Heike Hänsel von Filmen wie der Doku „True Warriors“, die am Mittwoch im Tübinger Kino Arsenal zu sehen war. Politiker reisten in der Regel zwei bis drei Tage in das Land, „mit einem gewaltigen Sicherheitskordon“. Der Film zeige den Alltag in in Afghanistan, und wie die Menschen dort versuchten, gegen die Gewalt aufzubegehren. Von ZDF und Arte koproduziert, wird diese bemerkenswerte Hommage an die couragierten Kabuler Künstler/innen hoffentlich bald im Fernsehen ausgestrahlt. Hänsel kritisierte, dass soeben wieder neun Afghanen von Leipzig aus abgeschoben wurden.

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Erstellt:
30.03.2018, 17:02 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 57sec
zuletzt aktualisiert: 30.03.2018, 17:02 Uhr

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