Politdoku

Skandalumwitterter CSU-Grande

Benedikt Schwarzer zoomt die schillernde Figur seines Großvaters heran.

12.02.2019

Von dhe

Der Film „Die Geheimnisse des schönen Leo“ beamt einen zurück in den Kalten Krieg und zum Misstrauensvotum gegen Willy Brandt. Für den Filmemacher Benedikt Schwarzer wurde seine packende Dokumentation zur Entdeckungsreise in die politische Vergangenheit der Bonner Republik und gleichzeitig in die eigene Familiengeschichte. Das sagte der 31-Jährige am Sonntag im Tübinger Kino Arsenal.

Auf seinem Großvater Leo Wagner lastete der Verdacht, einer der beiden Abgeordneten gewesen zu sein, der durch Stimmenthaltung das Misstrauensvotum der CDU/CSU gegen Willy Brandt vereitelte. Und das nicht etwa aus Überzeugung, sondern weil von der Stasi 50 000 Mark an ihn geflossen sein sollen.

„Er war immer so eine Art Mysterium“, sagte Schwarzer im Gespräch mit den Tübinger Zuschauern. In der Familie waren ein paar Anekdoten im Umlauf, ansonsten kannte er den Großvater kaum. Gelegentlich sei er bei Familienfeiern aufgetaucht, stets „im Stil eines Elder Statesman“.

Der CSU-Mitgründer war ursprünglich Schuldirektor und hatte sich in die Bundespolitik hochgearbeitet. Der Film kontrastiert seine Position als parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion im Bonner Regierungsviertel mit seinem Nachtleben im Kölner Rotlichtmilieu. Ein Barkeeper von damals sagt, dass Wagner sich dort in bester Gesellschaft bewegte, zwischen anderen Politikern sowie Bankiers und Fabrikbesitzern mit Hunderten oder Tausenden von Angestellten, die an einem Abend schon mal 1000 Mark ausgeben konnten. Doch Leo Wagner hatte zunehmend Probleme, diesen Lebensstil zu finanzieren. Und er hatte immer weniger Zeit für seine Familie. Die Besuche im fernen Günzburg, wo Frau und Tochter sich wie Staffage seines Lebens vorkamen, wurden immer seltener.

„Da war immer so eine Hybris“, eine Hülle, hinter der er sich verbarg, sagte der Filmemacher. Geboren 1919, sei Leo Wagner nicht sehr sicher im Leben verankert gewesen. Er wurde sehr autoritär erzogen, was sich der Nationalsozialismus zunutze machte. Nach dem Krieg sei er nicht damit zurechtgekommen, dass er als Täter galt. Im Zweiten Weltkrieg war Wagner Funker und nach bisheriger Kenntnis nicht an NS-Verbrechen beteiligt. Wie er mit seinen Kriegserinnerungen umgehen, „wie er sich als Mann wieder aufbauen“ sollte, das wusste er nicht, darauf hatte ihn niemand vorbereitet, so der Enkel. Gleichzeitig suchte er nach Nähe, sah aber keine andere Möglichkeit, „als sich die zu kaufen“.

Der junge Leo Wagner sei zuhause nicht aufgeklärt worden, so Schwarzer. Er wusste nichts über Sexualität, „wie die ganze Generation dieser Männer“, die dann in den Wehrmachtsbordellen „die Verfügbarkeit von Frauen“ erlebten: „Dass Frauen einfach irgendwie da sind.“

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Erstellt:
12.02.2019, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 16sec
zuletzt aktualisiert: 12.02.2019, 01:00 Uhr

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