Uschi Hahn über die Regeln am Kirchentellinsfurter Baggersee

Sitte und Anstand am Strand

Neue Besen fegen gut, heißt es. Nun ist Kirchentellinsfurts Bürgermeister Bernd Haug nicht mehr ganz so neu in seinem Amt. Doch nach zweieinhalb Jahren als Schultes hat er jetzt den eisernen Besen in die Hand genommen, hat eine private Security-Firma engagiert, die am Baggersee mal so richtig aufräumen soll.

17.06.2017

Von Uschi Hahn

Kari Sepp Buchegger Baggersee-Sünden.

Kari Sepp Buchegger Baggersee-Sünden.

Im Visier haben die Sheriffs vor allem die Schwulen- und Nacktbadeszene am Südufer . Das textilfreie Baden und die einvernehmlichen Liebesspiele – meist, aber nicht nur zwischen Männern und Männern – gibt es dort seit Mitte der 80er Jahre.

Kriminell ist das nicht. Sex außerhalb geschlossener Räume ist nur dann verboten, wenn jemand Drittes sich unmittelbar belästigt sieht. Erst dann kann der Outdoor-Geschlechtsverkehr als Erregung öffentlichen Ärgernisses nach Paragraf 183a Strafgesetzbuch geahndet werden.

Doch in Kirchentellinsfurt muss niemand zuschauen, wenn sich Paare am Strand vergnügen. Auch nicht, wenn dies nächtens auf dem Parkplatz geschieht, wo sich vorwiegend Männer auch übers Internet zu flüchtigen Abenteuern verabreden. Der offizielle Bade-, Segel und sonstige Betrieb ist aufs Nordufer beschränkt. Die Szenen kamen sich bisher höchst selten in die Quere.

Doch die kürzlich im Kirchentellinsfurter Gemeinderat verabschiedete neue Polizeiverordnung suggeriert genau das: Sex im Freien ist verboten und muss verfolgt werden. „Der Aufenthalt von Personen ist nur in der Art und Weise gestattet, wie sie den Sitten und Anstand im üblichen Sinne entspricht“, heißt es dort.

Nun sind Sitten und Anstand sehr dehnbare Begriffe und einem steten gesellschaftlichen Wandel unterworfen. Das gilt hier, wo bis 1994 der sogenannte Schwulenparagraf Homosexualität unter Strafe stellte. Und erst recht anderswo, wo es bis heute als unsittlich, verwerflich und strafbar gilt, wenn sich Paare jedweden Geschlechts in der Öffentlichkeit innig berühren, gar küssen oder sich auch nur als Frau oben ohne sonnen.

Noch deutlicher als in der Polizeiverordnung wird Kirchentellinsfurts Bürgermeister im erklärenden Text im Gemeindeblatt. Geahndet werden, so schreibt Haug, Verstöße „gegen das Verbot sexueller Handlungen jedweder Art“. Doch wer definiert, was eine sexuelle Handlung ist? Ist Knutschen am Baggersee verboten? Muss mit Bußgeld rechnen, wer sich am Strand nicht nur flüchtig zur Begrüßung umarmt? Spätestens hier wird klar: Die neuen Regeln am Kirchentellinsfurter Baggersee zeugen von einer rigiden Moral, die nicht zu einer offenen Gesellschaft passt. Sie richten sich gegen alle. Nicht nur gegen jene, die oft immer noch verschämt als „die vom anderen Ufer“ bezeichnet werden.