Bundestagswahl

Kommentar: Sieg ohne Entscheidung

And the winner is? Ja, wer eigentlich? Selten in der Geschichte der Bundestagswahlen ließ ein Ergebnis so viel Interpretationsspielraum zu, selten waren die zukünftigen Bündnisse und damit die Nachfolge von Angela Merkel so ungewiss.

27.09.2021

Von ULRICH BECKER

Berlin. Olaf Scholz? Er und die SPD dürfen sich in jedem Fall als Sieger fühlen. Gegenüber 2017 legte die „alte Tante“ nach jetzigem Stand rund fünf Prozentpunkte zu, im Vergleich zu den Umfragewerten zu Beginn des Sommers explodierten die SPD-Werte förmlich. Der jahrelang anhaltende Abwärtstrend ist triumphal gedreht worden. Der Sieg der SPD wird umso größer, schaut man auf die Ergebnisse in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin.

Aber ob dies reicht, um Olaf Scholz zum Kanzler zu küren, werden erst die kommenden Wochen weisen. Scholz' Widersacher Armin Laschet hat in letzter Sekunde den Abwärtstrend der Union gedreht und sich wieder an die SPD herangerobbt. Allerdings – im Licht der Stärke der Union noch vor wenigen Monaten und angesichts des eigenen Anspruchs hat Laschet eine krachende Niederlage eingefahren. Platz 2, das schwächste Ergebnis der Geschichte, ist im Selbstverständnis der Union inakzeptabel. Trotzdem kann der NRW-Ministerpräsident immer noch Kanzler werden. Denn Jamaika – also Schwarz, Grün und Gelb – hätte eine Mehrheit. Das Argument der Gegenseite, die stärkste Fraktion habe ein Anrecht auf das Kanzleramt, sticht in der neuen Parteienlandschaft Deutschlands nicht mehr. Dazu sind – in jedem Lager - 25 Prozent zu wenig.

Am Ende werden Grün und Gelb entscheiden, welches Farbenspiel Deutschland – ob Ampel oder Jamaika – in den kommenden vier Jahren regiert. Beide haben gegenüber 2017 kräftig zugelegt. Doch was beim einen, der FDP, Siegestaumel auslöst, führt beim anderen, den Grünen, zu Depressionen. Das Kanzleramt schien im Frühling in greifbarer Nähe, jetzt ist es weit, weit entfernt. „Bereit, weil ihr es seid“ stand auf den Plakaten der Grünen. Die junge Generation war es, die älteren Wähler ließen sich von Annalena Baerbock nicht überzeugen.

Den größten Druck wird – hoffentlich – Christian Lindner verspüren. Sein lapidares „Besser nicht regieren, als schlecht regieren“, mit dem er die Jamaika-Verhandlungen 2017 platzen ließ, wird dieses Mal nicht ziehen. Seine Klientel erwartet, dass er einer Regierung liberale Züge verleiht. Die FDP ist zum Mitregieren verdammt.

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Erstellt:
27.09.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 03sec
zuletzt aktualisiert: 27.09.2021, 06:00 Uhr

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