Seltene Vogelarten am Baggersee
Sie lieben Unkraut und Gestrüpp
Der Hirschauer Baggersee ist nicht nur ein Paradies für Badende, sondern auch für Vögel: Viele gefährdete Arten leben und brüten dort im Schilf. Ob das auch noch so sein wird, wenn dort bald ein Strandbad entsteht?
Hirschau. Mehr als 50 Vogelarten leben rund um den Hirschauer Baggersee. Nachtigall und Höckerschwan. Rohrammer und Feldschwirl. Selbst der Sumpfrohrsänger und der Kuckuck sind dort schon gesichtet und gehört worden. Weshalb das so ist? Kaum irgendwo im Landkreis ist die Pflanzenwelt so vielseitig wie am Baggersee. Dort gibt es große Bäume, niedrige Büsche, Wiesen und Brennesselgestrüpp. Und vor allem: große Schilfgebiete. Das ist etwas ganz Besonderes. Seeufer, an denen alles ordentlich gemäht und gepflegt aussieht, mögen zwar bei manchen Badegästen beliebt sein. Vögel aber brauchen Gestrüpp, Unkraut und Schilf: zum Nisten – und weil sie dort Futter (Insekten und Raupen) finden.
An kaum einem anderen See der Region gibt es so viel Schilf wie in Hirschau, erzählt Lutz-Jörg Adam. Adam ist Biologe und kennt den Baggersee wie kein anderer. Er lebt in Hirschau, geht dort seit Jahren schwimmen und seit er im Ruhestand ist, nutzt er jede freie Minute, um an den See zu fahren und die Vogelwelt zu erkunden. Fast hat man den Eindruck, er kenne jeden Vogel am Baggersee persönlich. Er weiß genau, wann im Frühjahr der erste Rohrsänger zu hören ist, wann die Nachtigallen besonders schön singen und in welchem Schilfgürtel jener Rohrsänger nistet, den er allein schon am Gesang erkennt. Denn jeder Vogel hat eine ganz eigene Art zu singen. Dieser eine Rohrsänger zum Beispiel fügt zu dem typischen, sich immer wiederholenden und eher eintönigen Rohrsänger-Tschirp-Tschirp-Tschirp immer noch kleine Melodie-Girlanden ein. Besonders dann, wenn er sich aufregt: weil er schon so lange gesungen hat und immer noch kein Weibchen anlocken konnte. Viele Vogelarten, die am Baggersee leben, stehen auf der Roten Liste der gefährdeten Arten, wie der Tübinger Vogelkundler Rudolf Kratzer weiß. Er hat für die Tübinger Stadtverwaltung ein Gutachten über die Vogelwelt am Baggersee geschrieben. Am See brüten zum Beispiel das Blesshuhn und die Rohrammer, der Sumpfrohrsänger und der Feldschwirl. Alle vier Vogelarten sind in dieser Region sehr selten geworden und stehen deshalb auf einer „Vorwarnliste“. Das heißt: Wenn man ihre Brutgebiete weiter zerstört, wird diese Vogelart irgendwann aussterben. Gefährdet sind auch der Kuckuck und das Teichhuhn, die beide ebenfalls am Hirschauer Baggersee zu finden sind.
Adam macht sich Sorgen, ob der See in einigen Jahren immer noch ein Vogelparadies sein wird. Die Stadt Tübingen will das Gelände um den See zu einem Landschaftspark machen und dabei eine größere Liegewiese anlegen. Adam befürchtet, dass dabei ganze Schilfgebiete und Brennesselgestrüppe abgemäht werden – und damit auch die Brutstätten der Vögel zerstört werden. Die Planerin der Stadt, die Landschaftsarchitektin Ute Krommes, sagt dazu: Man wolle versuchen, allen Nutzern des Sees gerecht zu werden. Ein Teil des Ufers soll möglichst naturnah – mit Schilfzonen – erhalten werden. Dort, wo künftig eine Art Liegewiese entstehen soll, wo ständig Badende in den See steigen, sei es aber wenig sinnvoll, das Schilf zu erhalten.
Die ersten Pläne für die Umgestaltung der Seeufer wurden vergangenes Jahr den Bürgern vorgestellt. Seither ist wenig passiert. Aber noch dieses Jahr sollen die Pläne verfeinert und Verhandlungen mit den Grundstücksbesitzern geführt werden, sagt Krommes. Der See gehört zum Großteil der Firma Epple, die dort bis 1986 Kies abgebaut hat.
,,Tschirp-Tschirp-Tschirp.
Rohrsänger
,,Zja-tit-tai-zi-i.
Rohrammer