Tübingen · Frauenfilmtage

Sich auf den Weg machen und hinsehen

Zum Auftakt am Aktionstag gegen Prostitution diesen Donnerstag kommt Regisseur Michael Kranz. Seine Dokumentation „Was tun?“ führt zu Minderjährigen in einem Rotlichtviertel in Bangladesch.

10.06.2021

Von Dorothee Hermann

Die Dokumentation „Was tun?“ drehte Michael Kranz in der Stadt Faridpur.  Bild: Filmperlen Filmverleih

Die Dokumentation „Was tun?“ drehte Michael Kranz in der Stadt Faridpur. Bild: Filmperlen Filmverleih

Nein, einen Helferkomplex hat Michael Kranz nicht. Er weiß, dass es suspekt wirken kann, wenn ein westlicher Mann nach Bangladesch fährt, weil ihn die miesen Lebensumstände einer 15-Jährigen umtreiben. Es gebe sogar ein Wort dafür: „white saviour“ (weißer Retter), sagte der Filmemacher dem TAGBLATT am Telefon. Doch der Dokumentarfilm „Whores’ Glory“ von Michael Glawogger hat ihn, damals noch Student an der Hochschule für Film und Fernsehen in München, nicht mehr losgelassen.

Darin ist der Arbeitsalltag von Prostituierten zu sehen: in Bangladesch (muslimisch), Mexiko (katholisch) und Thailand (buddhistisch). Eine 15-Jährige aus Bangladesch fragt, „warum wir mit so viel Leid leben müssen“.

Sie wollte Kranz finden. Im Februar 2015 flog er nach Bangladesch. Ein paar Videoausschnitte von Glawoggers Film auf dem Handy waren seine einzigen Hinweise. Dolmetscher halfen ihm, in der Stadt Faridpur, einem der bekanntesten Rotlichtviertel des Landes, mit den Menschen in Kontakt zu kommen.

Bald traf der Filmemacher eine Frau und einen Mann, die sich schon länger in den Bordellen sozial engagieren: Chanchala und Shyamal. Durch sie erreichte er, dass auch andere ihm vertrauten. „Sie kommen auch im Film vor. Sie hatten schon ein Kinderheim für Mädchen.“ Nun gibt es ein Heim für Jungen und eines für Mädchen. Insgesamt leben dort zirka 55 Kinder. Das von Kranz initiierte Hilfsprojekt Bondhu unterstützt etwa 25 von ihnen.

Michael Kranz Bild: Frauenwelten

Michael Kranz Bild: Frauenwelten

Würde er sich als Feminist bezeichnen, der sich schon zuvor für frauenpolitische Forderungen eingesetzt hatte? „Ich bin für die Gleichbehandlung und Gleichstellung von Männern und Frauen. Ich weiß nicht, ob mich das schon zu einem Feministen macht.“

Ihn interessierte zunächst etwas anderes: „Wie gehen wir in der westlichen Welt mit Bildern des Leidens um? Hat es Konsequenzen, wenn wir berührt sind? Ist Empathie oder Abstumpfung die Folge? Was bringen die Bilder dieses Leidens?“ Solche Fragen waren ihm bereits bei seinem Studienschwerpunkt Dokumentarfilm wichtig.

Empathie oder Abstumpfung?

Schon wegen des Klimas sollten jetzt nicht alle losfliegen und seinem Beispiel folgen. Doch der Filmemacher ist überzeugt, „dass es sich auf jeden Fall lohnt, sich auf den Weg zu machen“. Das kann ganz unterschiedlich aussehen: „Die Menschen tragen ja Themen in sich.“ Der eine stellt fest, dass er sich um sich selbst kümmern müsse und macht eine Therapie. Andere engagieren sich für Frauenrechte, die Umwelt oder den Sportverein, sagte Kranz. Das ist für ihn die einzige Moral, die er aus seinem Film ziehen möchte: zu handeln. „Dann hat die Realität ihre eigene Weise, auf einen zuzukommen. Es lohnt sich, aufzubrechen.“

Der mittlerweile 38-Jährige ist auch Schauspieler und war unter anderem in „Das weiße Band“ von Michael Haneke, in Quentin Tarantinos „Inglourious Basterds“ und in Steven Spielbergs „Bridge of Spies“ zu sehen. Aktuell spielt er unter anderem in der französischen Amazon-Serie „Totems“ (die den Kalten Krieg wiederaufleben lässt) und in der deutsch-tschechischen Fernsehserie „Oktoberfest 1900“.