Tübingen · Kino

Sexsüchtige Männer, wütende Frauen

Das Arabische Filmfestival hat dieses Jahr den Schwerpunkt Tunesien, erwartet in Tübingen sogar wieder vier Gäste und setzt auf analoge Spielorte, vor allem das Kino Arsenal und das DAI.

05.10.2021

Von Dorothee Hermann

Nicht nur von einem Erpresser bedroht: das Liebespaar Lana (Baraka Rahmani) und Ali (Emad Azmi). Bild: Arabisches Filmfestival

Nicht nur von einem Erpresser bedroht: das Liebespaar Lana (Baraka Rahmani) und Ali (Emad Azmi). Bild: Arabisches Filmfestival

Zur Eröffnung ist eine Deutschlandpremiere angekündigt: Das heimliche Liebespaar Lana und Ali setzt in „The Alleys“ unfreiwillig eine verhängnisvolle Kettenreaktion in Gang.

Als ein Erpresser Lanas Mutter mit Fotos der beiden unter Druck setzt, entwickelt sich ein rasantes Krimidrama. Schauplatz des Spielfilmdebüts von Regisseur Bassel Ghandour ist ein Viertel der jordanischen Hauptstadt Amman, das von Klatsch und Gewalt beherrscht wird, während gleichzeitig alle auf ihren guten Ruf bedacht sind: Ein Gangster aus der Nachbarschaft soll den Erpresser stoppen.

Ein Festivalgast aus Israel

Vom 7. bis 16. Oktober präsentiert das Arabische Filmfestival Tübingen 50 Filme aus 21 Ländern sowie zehn Kurz- und Animationsfilme beim Kinder- und Familientag. Festivalorte sind das Kino Arsenal, das Deutsch-Amerikanische Institut (DAI) und die Musikschule Tübingen.

Im Pfleghofsaal wird Daniel Speck seinen neuen Roman „Jaffa Road“ vorstellen. Der 1969 in München geborene Drehbuchautor und Schriftsteller hat tunesische Wurzeln. In Stuttgart ist das Festival im Linden-Museum, im Theater am Olgaeck und im Kino Delphi zu sehen.

Ein spannender Festivalgast dürfte auch der israelische Filmemacher Avi Mograbi sein. Er präsentiert im Kino Arsenal seine Dokumentation „The First 54 Years – An Abbreviated Manual for Military Occuption“. Anhand von Zeugenaussagen israelischer Soldaten von der Initiative „Breaking the Silence“ beleuchtet er die traumatischen Folgen der israelischen Politik nicht nur für Palästinenser, sondern auch für die israelische Gesellschaft.

Ebenfalls in Tübingen erwartet wird der Regisseur Ameer Fakher Eldin, der 1991 als Sohn syrischer Eltern in Kiew geboren wurde. Die Familie stammt von den von Israel besetzten Golanhöhen. Dort spielt nun Eldins Spielfilm „Al Garib“ (The Stranger): Als Arzt ohne Lizenz lebt Adnan in einem kleinen Dorf auf den Golanhöhen und versucht vergeblich, ein anderes Leben zu führen als das, das sein Vater für ihn vorgesehen hatte.

Die in Tübingen von den Französischen Filmtagen bekannte Schauspielerin Hafsia Herzi ist mit ihrem zweiten Spielfilm vertreten. „Good Mother“ (Bonne Mère“) ist Nora, eine Frau in den Fünfzigern mit zwei Jobs, die in einer Wohnsiedlung im Norden von Marseille ihre Kinder und Enkelkinder durchbringt.

Aus dem Libanon kommt der Spielfilm „Death of a Virgin, and the Sin of not Living“. Darin tun sich vier Freunde zusammen, um mit einer Prostituierten ihren ersten Sex zu erleben. In seinem Regiedebüt dekonstruiert George Peter Barbari den vermeintlichen maskulinen Initiationsritus und tastet sich an die Wünsche und Ängste der Protagonisten heran.

Der Schwerpunkt Tunesien zeigt ein Land im Umbruch. „The Man who Sold his Skin“ von Regisseurin Kaouther Ben Hania wagt einen unterhaltsam-provokanten Blick auf die Kunstszene und die apathische Haltung der westlichen Welt gegenüber der Flüchtlingskrise.

Eine junge Frau als Rächerin

In „She Had a Dream“ porträtiert Regisseurin Raja Amari („Satin Rouge“) eine junge schwarze Frau, die in der durch Ungleichheit und Rassismus polarisierten tunesischen Gesellschaft Politikerin werden möchte. Dabei hat die Jurastudentin Ghofrane ohnehin einen beschwerlichen Weg vor sich, denn sie stammt aus einer Arbeiterfamilie.

Ebenfalls aus Tunesien kommt „Black Medusa“ von Ismael und Youssef Chebbi über Nada, die ein Doppelleben führt: Tagsüber ist sie ruhig und zurückhaltend. Nachts in Tunis reißt sie Männer auf, um sie dann zu verprügeln. In der arabischen Version von „Promising Young Woman“ wird eine wütende junge Frau im postrevolutionären Tunesien zur Rächerin.

Der Arabische Frühling wirkt auf dem Festival in einer ganzen Reihe von Filmen nach. Die Dokumentation „As I Want“ zeigt den Widerstand ägyptischer Frauen als innere Reise, auf der sich individuelle Emanzipation und kollektive Befreiungsprozesse verbinden.

Die Festung Europa nimmt schließlich der Filmemacher Haider Rashid mit seiner Dokumentation „Europa“ in den Blick: an der Grenze zwischen Bulgarien und der Türkei.

Info Der Spielfilm „The Alleys“ läuft am Donnerstag, 7. Oktober, 20 Uhr, im Tübinger Kino Arsenal. Arabische Originalfassung, englische Untertitel.

„Jüdisches Leben in der arabisch-islamischen Welt“

In der Spezialreihe des Arabischen Filmfestivals stellt unter anderem Regisseurin Simone Bitton ihren Dokumentarfilm „Ziyara“ vor (Deutsch-Amerikanisches Institut, Donnerstag, 14. Oktober, 18 Uhr). Auf der Suche nach Spuren jüdischen Lebens reiste Bitton durch das Land ihrer Eltern. Geboren 1955 in Marokko, zog sie 1966 mit ihrer Familie nach Israel. Sie hat die israelische und die französische Staatsbürgerschaft.

Das Spezialprogramm wird gefördert aus dem Innovationsfonds Kunst des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg.

Ein Konzert mit Musik von sephardischen Juden gibt es in der Tübinger Musikschule am Donnerstag, 14. Oktober, um 20 Uhr (Frischlinstraße 4).

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Erstellt:
05.10.2021, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 16sec
zuletzt aktualisiert: 05.10.2021, 01:00 Uhr

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