Jens Söring
Begegnung nach zehn Jahren
Chronik eines lange angebahnten Kontakts: 2011 kamen erste Briefe aus dem US-Gefängnis, 2017 folgte ein Telefonat. Warum das Treffen mit Jens Söring etwas Besonderes war.
Der Fall sollte mich weiter beschäftigen, bis heute. Aufmerksam wurde ich darauf durch einen Artikel in der Süddeutschen Zeitung, der damals sehr aktive Unterstützerkreis stellte den Briefkontakt ins Gefängnis her. Damals saß er schon seit über 20 Jahren im Knast und kämpfte verzweifelt um seine Freiheit. Er sollte noch lange weiterkämpfen. Einige Male schrieben wir uns hin und her, die Stimmung in seinen Briefen wechselte. Mal war er hoffnungsvoll und ging davon aus, bald rauszukommen, dann wieder, ein paar Wochen später, klangen seine Worte resigniert.
Das sei seine Arbeit gewesen, sagt er heute. Er habe alle Briefe beantwortet, die zu ihm ins Gefängnis kamen, jeden einzelnen. Das war lange seine hauptsächliche Verbindung zur Außenwelt. Besuche von Journalisten waren schwierig, zeitweise ganz verboten. Ende 2017 allerdings kam es fast zu einem Treffen, die Unterlagen für den Zugang zum Gefängnis waren schon unterzeichnet, die Bedingungen akzeptiert. Jeanshosen zum Beispiel waren für Besucher verboten, das hat sich eingeprägt. Es kam etwas dazwischen, aber dafür kam ein Telefonat zustande. Eine Stunde lang versuchte er vor allem, seine Unschuld zu beweisen. Sein Deutsch war immer noch tadellos, ein wenig antiquiert, ein leichter Akzent war zu hören.
Dann plötzlich, vor anderthalb Jahren, kamen die ersten Nachrichten, dass er freikommen könnte. Sehr überraschend, von außen gab es wenig Neuigkeiten in dem Fall. Immer wieder hatten sich prominente Unterstützer zu Wort gemeldet, andere wiederum hielten ihn weiterhin für schuldig. Auf einmal folgten Bilder vom Abschiebegefängnis, das von außen gefilmt wurde. Dann die Live-Übertragung seiner Ankunft. So viele freudige, glückliche Gesichter, einige Unterstützer waren zum Flughafen gekommen. Söring wirkte hilflos und glücklich zugleich, schien ständig auf Anweisungen zu warten. Das war er gewohnt. Ich beschrieb die Eindrücke vor dem Bildschirm, nun als Redakteurin für die Südwest Presse.
Danach wurde es schwierig. Interviewanfragen per Mail beantwortete er zwar immer selbst, aber sehr kurz und ablehnend. „Ich kann derzeit keine Interviews geben“, schrieb er einmal. Dann wagte er sich doch aus der Deckung. Auf eine erneute Anfrage vor Kurzem reagierte er positiv, er erinnere sich an die Briefe, an mich, schrieb er. Er wusste noch, dass ich zuvor im Osten gearbeitet hatte.
Zu diesem Zeitpunkt tauchte er gerade wieder in der in der Öffentlichkeit auf, er hatte ein Buch geschrieben, wollte ein neues Leben als Redner und Coach starten. Beim Treffen dann wirkte Söring erst ein wenig gestresst. So viele Termine, so viel unterwegs. Wirklich gewohnt sei er das noch nicht. Aber er genieße es, sagte er mehrfach. Er redete viel, antwortete auf alle Fragen ohne auszuweichen. Es war eigenartig, nun neben ihm durch einen Park zu gehen. Vorher bestand so viel Distanz, so viele Kilometer und die Gitterstäbe. Nun war das alles weg. Wenn das für mich als Journalistin schon gar nicht so einfach zu begreifen war, wie schwer musste es für ihn sein?
Das Gespräch jedenfalls war lang und intensiv, am Ende musste er zum Bahnhof rennen, um seinen Zug zu erwischen. In einem Jahr sehen wir uns wieder, sagte er zum Abschied. Sein Fall soll für einen internationalen Streamingdienst verfilmt werden. Darüber könnte ich dann gerne wieder berichten. Über den guten Teil seines Lebens.