Übrigens

Seil oder nicht Seil?

Sie gelten als Tübingens Vorzeige-Schatzgräber: Der Archäologe Manfred Korfmann, der in der nordöstlichen Türkei die Wahrheit um den Sehnsuchtsort Troja zu lüften suchte, und Nicolas Conard, der seit geraumer Zeit auf der Schwäbischen Alb der frühen Menschheitsgeschichte hinterherbuddelt.

23.07.2016

Von Wilhelm Triebold

Während der vor elf Jahren verstorbene Korfmann eine übergestülpte These vertrat, die er danach zu beweisen trachtete, geht der Kollege Conard umgekehrt vor. Er betrachtet und begutachtet die Fundstücke, die sich an den Fundorten (oder aus der Abraum-Erbmasse eines Vorgängers) auftun, unter einem spekulativen Aspekt ihrer einstigen Verwendung.

Während Korfmann sich immerhin noch an eine literarische Quelle, nämlich Homers „Ilias“ klammern durfte, ist Conard zuerst einmal und mehr noch auf reine Mutmaßungen angewiesen. Wie oft es wohl vorkam, dass er oder jemand aus seinem Mitarbeiterstab aus den Schutthügeln der Grabungen einen unscheinbaren Gegenstand klaubten in der Erwartung, es zum einmaligen Artefakt erklären zu können? Und dann entpuppte es sich doch nicht als die erhoffte Sensation, als zum Beispiel der erste Küchenlöffel eines Steinzeit-Haushalts. Sondern doch nur als ein öder Klumpen Dreck.

Urgeschichtler Conard bewegt sich gezwungenermaßen auf dünnem Eis. Er muss die Funde und Befunde erst einmal kühn interpretieren und dann soweit verifizieren, dass es wasserdicht erscheint.

Aber ist die Venus von Hohle Fels, der Conard die sexuelle Konnotation eines prähistorischen Pin-up-Girls, einer Steinzeit-Nana andichtete, womöglich ein harmloses Maskottchen oder gar die missglückte Darstellung eines Frosches, die ein Künstlerdilettant halt nicht besser hingekriegt hat? War das angeblich älteste Musikinstrument der Welt, jene Knochenflöte aus dem Schelklinger Erdreich, tatsächlich zum Spielen und nicht für praktischere, prosaischere Verrichtungen gedacht, für die uns heute einfach die nötige Phantasie fehlt?

Zweifel sind immer erlaubt, genauso wie kühne Auslegungen oder gar Festlegungen. Conards neuester Coup kommt rechtzeitig vorm Sommerloch, in dem man noch tiefer graben muss als sonst. Seil oder nicht Seil, das ist die Frage. Das corpus delicti, das ganz sicher Auskunft geben könnte, ist längst zu Staub zerfallen – kein Wunder, sind die ältesten einigermaßen erhaltenen Stricke doch höchstens 3500 Jahre alt (sie stammen entweder aus ägyptischen Pyramiden oder aus einem österreichischen Salzbergwerk).

Diesmal aber sind dem Deuter Conard belgische Wissenschaftler beigesprungen. Und sie sind sich ihrer Sache sicher: Auf der Alb lebten die ältesten schwäbischen Tüftler der Menschheit. Das haben wir sowieso geahnt.