Geschichtsverein Härten

Sehen und gesehen werden – Karls Höflesfest

Das jährliche Fest, das gestern auf dem Anwesen des ehemaligen Möbelhaus-Geschäftsführers Karl Bader in Jettenburg gefeiert wurde, dient auch dem Zusammenhalt der fünf Härtengemeinden.

20.08.2018

Von Andrea Bachmann

Zu jeder vollen Stunde bot Herbert Raisch vom Geschichtsverein eine Höfleführung an. Das Interesse war groß. Bild: Faden

Zu jeder vollen Stunde bot Herbert Raisch vom Geschichtsverein eine Höfleführung an. Das Interesse war groß. Bild: Faden

Hier finden sich die Härtengemeinden zusammen“, freute sich Marianne Metzger. Die Ortschaftsrätin von Mähringen ist das 100. Mitglied des Geschichtsvereins Härten, der am gestrigen Sonntag sein 19. „Höflesfest“ auf dem Anwesen des ehemaligen Ehrenmitglieds Karl Bader feierte. Vor neun Jahren ist der Geschäftsführer eines großen Möbelhauses gestorben. Ihm zu Ehren wurde das Fest, das er ins Leben gerufen hatte, nach ihm benannt. Mittlerweile führen Bades Nachkommen die Tradition weiter und laden zum Höflesfest ein.

Am Sonntag kamen ungefähr 500 Menschen in dem ehemaligen Obstgarten des Baderschen Anwesens zusammen, um es sich bei Maultaschen, Flammkuchen und Torte, einem Krug Most oder einer Tasse Kaffee gut gehen zu lassen – vor allem aber, um zu sehen und gesehen zu werden. „Es ist einfach schön, dass man hier so viele Leute trifft“, meinte Marianne Metzger, und der Geschichtsvereinsvorsitzende Hans Kern war überzeugt, dass auf dem Höflesfest durchaus auch Politik gemacht wird. „Das ist hier ein ganz wichtiges kulturelles und gesellschaftliches Ereignis.“

Einige Gäste kamen vor allem wegen der Musik. Die Donauschwäbische Blasmusik Reutlingen gab auf dem Fest den Ton an. „Die spielen genau die Musik, die zu diesem Fest passt“, fand Hans Kern: echte Volksmusik in Form von melodienreichen, gefühlvollen Ländlern, Polkas und Walzer.

Für den Verein bedeutete das Fest wie immer Schwerstarbeit: 25 Leute ackern in zwei Schichten und sorgen für das leibliche Wohl der Gäste, 18 Personen haben beim Aufbau angepackt. Mittlerweile arbeiten auch schon Kinder und Kindeskinder von Vereinsmitgliedern mit, sehr zur Freude des Vorsitzenden Hans Kern: „In diesem Jahr haben wir lauter fixe, junge, hübsche Mädel zum Bedienen. Das freut die Leute.“

Das Höflesfest wird traditionell im Elternhaus von Karl Baders Frau Helene geborene Braun ausgerichtet, das Karl Bader mit viel Liebe und Detailverliebtheit zu einem Museum ländlichen Lebens ausgebaut hat. Das Anwesen ist an der Schwelle zum 20. Jahrhundert entstanden: ein sogenanntes „Gestelztes Eindachhaus“ vereinte alle Funktionen ländlichen Lebens unter einem Dach. Im Erdgeschoss waren Stall und Scheune, im ersten Stock wohnte die Familie, und die Kinder wurden in den Dachkammern untergebracht. „Dieser Haustyp ist Tausende von Malen hier in der Region gebaut worden“, weiß Marianne Metzger.

In dem ehemaligen Obst- und Baumgarten hat Karl Bader lauschige Lauben und Gartenstüble bauen lassen, zum größten Teil aus alten Holzbalken. Am Rand des Grundstücks steht sogar eine kleine Kapelle, die der Erinnerung an seine Vorfahren gewidmet ist und nach dem ersten namentlich bekannten Jettenburger Berthold-Kapelle genannt wird.

Wichtiger Programmpunkt des Höflesfestes sind die Führungen, die zu jeder vollen Stunde von Herbert Raisch vom Geschichtsverein angeboten werden. Das Interesse war groß, ein gutes Dutzend Besucherinnen und Besucher drängte zur Kaffeezeit in die erste Etage des alten Bauernhauses. Die Küche war das Zentrum des Familienlebens Ende des 19. Jahrhunderts.

Raisch zeigte Waffeleisen, Spatzenpressen und Bügeleisen und gab alte Frühstücksrezepte zum Besten: Ein schwarzer Brei aus Dinkel und Speck soll den Magen so „zubetoniert“ haben, dass man erst zum Vesper um Viere, der „heiligen Schwabenmahlzeit“, wieder Hunger verspürte.

Gleich zwei gute Stuben haben Karl Bader und der Geschichtsverein zusammengetragen: eine bäuerliche und eine aus einem Reutlinger Industriellenhaushalt um die Jahrhundertwende mit Eichendielenboden, Voliere, Bücherbrett und Hausaltar.

Raisch erzählte launige und nachdenkliche Geschichten aus dem bäuerlichen Leben früherer Zeiten, vom Eiergeld, das traditionell der Frau gehörte, und langwierigen Heiratsverhandlungen: „Liebe vergeht, Acker besteht.“ Unverheiratete Mütter mussten ein Jahr lang im Sünderbänkle in der Kirche sitzen und während der Predigt stehen. „Für Frauen waren die Zeiten sehr hart.“

Eine umfangreiche Trachtensammlung vervollständigt die Sammlungen Karl Baders. Kunstvoll gewirkte Borten und prachtvolle Schappel, der Kopfputz unverheirateter Mädchen, mit Glasperlen aus Schwäbisch Gmünd sowie vielreihige Granatketten, sogenannte Nuster, zeigen, dass es auf den Härten nicht immer nur armselig zuging.

Karl Bader habe schon mit 14 Jahren angefangen, Dinge aus der bäuerlichen Alltagswelt der Härtengemeinden zu sammeln, meinte Herbert Raisch. Jetzt ziehe sein Eindachhaus nicht nur zum Höflesfest Besucher aus nah und fern an: „Da braucht man ein Händle und eine Liebe für so etwas.“

Höflesfest als Höhepunkt

Der Geschichtsverein Härten wurde am 14. August 1999 gegründet. Er widmet sich der Erforschung, Dokumentation und Präsentation der Geschichte der fünf Härtengemeinden Jettenburg, Mähringen, Kusterdingen, Immenhausen und Wankheim.

Anlass der Gründung war die Diskussion um die eventuelle Umbenennung der August-Lämmle-Schule in Kusterdingen: Die Nähe des 1879 geborenen Volksschullehrers, Volkskundlers und Mundartdichters Lämmles zum Nationalsozialismus wurde teilweise kritisch gesehen, was zu einer intensiven Auseinandersetzung mit der Geschichte der Härten führte.

Der Verein, in dem sich zu Gründungszeiten alle fünf Ortsvorsteher engagiert haben und der mittlerweile 100 Mitglieder zählt, versteht sich als integratives Bindeglied zwischen den einzelnen Härtengemeinden, bemüht sich jedoch, den Besonderheiten der einzelnen Ortsteile gerecht zu werden

Er veranstaltet Mundart-Abende, gibt Koch- und Heimatbücher heraus, erfasst alte Kirchenbücher und veranstaltet Führungen, vor allem durch das Anwesen von Karl Bader.

Ein Schwerpunkt ist die Erforschung der Auswanderung von den Härten im 19. Jahrhundert und die Suche nach Nachkommen. Höhepunkt der Vereinsaktivitäten ist das Höflesfest im August, das seit dem Tod des Ehrenmitglieds Karl Baders „Karls Höflesfest“ genannt wird.

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Erstellt:
20.08.2018, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 40sec
zuletzt aktualisiert: 20.08.2018, 01:00 Uhr

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