Seefeuer

Seefeuer

Der Berlinale-Winner kontrastiert semidokumentarisch die Ankunft von Flüchtlingen auf der Insel Lampedusa mit dem Alltag der Einheimischen.

11.06.2016

Von Dorothee Hermann

Siehe: Tod und Überleben im Mittelmeer - Filmgespräch mit Flüchtlingen und Vorpremiere von „Seefeuer“ im Kino Arsenal

Es ist so still, dass man jeden Schritt auf dem kurzen Gras hört, das Abknicken eines Zweigs, das Zwitschern der Vögel. Der Junge zwischen den Bäumen scheint sich durch eine ideale Kindheitswelt zu bewegen, vor einem Meerpanorama unter weitem Himmel, das paradiesische Abgeschiedenheit verspricht – ein touristisches Traumziel.

Doch auf der italienischen Insel Lampedusa hat die Zweiteilung des Lebens und der Zeit wieder begonnen, wie sie die Älteren aus dem Krieg kannten. Damals konnten die Fischer in der Nacht nicht aufs Meer hinausfahren, weil dort die Militärschiffe kreuzten, erzählt Samueles Großmutter dem Jungen.

Dem Zwölfjährigen scheint nicht bewusst, dass die Nacht auf der Insel erneut einer militärähnlichen Routine folgt. Nur die Kamera blendet von seiner Kinderwelt auf die festungsähnlichen Schiffe der Küstenwache (es könnte sich auch um Frontex handeln, die EU-Grenzschutztruppe). Per Funk, mit Wärmebild-Kameras und Radar sind die Besatzungen genau darüber im Bilde, was sich in den Gewässern vor der Insel tut.

Es sieht aus wie eine Militäroperation, als Offizielle, teilweise in weißen Overalls und mit Schutzmasken über den Gesichtern, eben aus völlig überfüllten, wackligen Kähnen geretteten Flüchtlingen die Hand reichen, damit sie auf kleineren Booten die Insel erreichen können. Man sieht das Flirren der Rettungsfolien, silber und gold, blaue Handtücher, die Gesichter undeutlich im Dunkeln.

Für seinen kühl registrierenden, aber umso eindringlicheren Dokumentarfilm hat der italienische Regisseur Gianfranco Rosi ein Jahr auf der Mittelmeerinsel Lampedusa gelebt, für tausende Flüchtlinge erste Anlaufstelle in der Europäischen Union und Friedhof für die Ertrunkenen. Von den Toten, die in der Wüste oder in libyschen Gefängnissen zurückbleiben, ganz abgesehen, wie ein namenloser Nigerianer hervorstößt.

Die Tag- und Nacht-Symbolik kann man für problematisch halten. Gebrochen wird sie durch den Arzt, der für alle da ist, für Flüchtlinge, für Einheimische und auch für die Toten. Er scheint der einzige, der die Zweiteilung in zivile Alltagsmenschen und Objekte militärisch-polizeilicher Maßnahmen nicht akzeptiert.

Kindheit in einer EU-Grenzzone: bewegende Doku über die Insel Lampedusa.