Corona

„Schweinerei“ mit Masken

Der Händler Joachim Lutz hat vor einem Jahr für das Gesundheitsministerium FFP2-Masken in China beschafft. Auf sein Geld wartet er bis heute.

15.05.2021

Von JENS SITAREK

Logistikhalle von DB Schenker in Crailsheim: Hier lagert das Bundesgesundheitsministerium Masken. Foto: Jens Sitarek

Logistikhalle von DB Schenker in Crailsheim: Hier lagert das Bundesgesundheitsministerium Masken. Foto: Jens Sitarek

Crailsheim/Offenburg. Das große Geschäft mit Masken – so heißt die Dokumentation, die am vorvergangenen Montag in der Reihe „Marktcheck Spezial“ im SWR ausgestrahlt wurde. Es geht darum, dass das Bundesgesundheitsministerium (BMG) in der Corona-Pandemie millionenfach Schutzmasken orderte. Diese werden offenbar nicht mehr gebraucht, doch das Geld dafür bleibt das BMG den Lieferanten schuldig.

Gezeigt wird in der Dokumentation auch der Import-Export-Händler Joachim Lutz aus dem badischen Offenburg, wie er mit seinem Privatauto beim Logistikunternehmen DB Schenker in Crailsheim (Landkreis Schwäbisch-Hall) vorfährt. „Da hinten ist ja schon das schöne große Gebäude“, sagt Lutz. Er meint das markante Hochregallager, das Schenker bei einer anderen Firma angemietet hat.

Zwei Mitarbeiter werden auf die Filmaufnahmen aufmerksam. Lutz will von ihnen wissen, wo seine Masken sind, die er in China beschafft hat. „Wir haben keine Masken hier. Das Bundesministerium für Gesundheit lagert hier Masken ein“, entgegnet man ihm. Lutz sagt: „Das sind meine Masken, die noch nicht bezahlt sind.“

Sind Lutz' Masken wirklich in Crailsheim gelagert? Einen Beweis gibt es nicht. Aber in dem Schriftverkehr zwischen ihm und Schenker wird jedenfalls nichts dementiert. Stattdessen weist Schenker darauf hin, die E-Mails mit dem Betreff „Besichtigung meiner Ware“ an die Rechtsanwaltsgesellschaft Ernst & Young Law weitergeleitet zu haben.

Keine Antwort vom Ministerium

Crailsheim ist einer von bundesweit 19 Standorten für die „Nationale Reserve Gesundheitsschutz“, um für zukünftige Notlagen mit Material wie Schutzausrüstung, Schutzmasken, Beatmungsgeräten und Medikamenten gewappnet zu sein. Schenker spielt dabei offenbar eine bedeutende Rolle. Laut Zahlen von 2018 stehen in Crailsheim für Kunden auf 43 400 Quadratmetern rund 20 000 Quadratmeter Logistikfläche sowie eine Umschlagsfläche von 5000 Quadratmetern zur Verfügung. Weiterer Vorteil: ein alarmgesichertes, frostfreies und vollautomatisches Hochregallager.

Bei der Pressestelle von DB Schenker in Frankfurt heißt es nur: „Wir äußern uns grundsätzlich nicht öffentlich zu Kunden und Geschäftspartnern.“ Vom Bundesgesundheitsministerium bekommt man gar keine Antwort auf eine Anfrage.

Nach Recherchen unserer Zeitung gab es im vergangenen November einen Händler, der bei Schenker in Crailsheim – im Beisein von Notar, Anwalt und Ministerium – Proben seiner Masken ziehen durfte, um zu beweisen, dass diese verkehrsfähig seien. Er soll sein Geld dann im Februar erhalten haben.

Im Gegensatz dazu wartet Lutz seit einem Jahr auf das Geld für seine Masken. Er ist einer von 88 Händlern, die in Bonn, dem ersten BMG-Dienstsitz, vor dem Landgericht klagen. In seinem Fall geht es um rund 1,6 Millionen Euro für 300 000 FFP2-Masken, Standard KN95. Er verlangt darüber hinaus 900 000 Euro Schadenersatz. Was Lutz zusätzlich wurmt: Weil er eine Rechnung stellte, musste er die Umsatzsteuer bereits an das Finanzamt abführen.

Hintergrund des Klage-Komplexes ist ein sogenanntes Open-House-Verfahren. Dabei setzten sich im April 2020 nicht die günstigsten Bieter durch, sondern alle, die sich verpflichteten, Schutzausrüstung zu liefern. Mehr als 700 Firmen bekamen den Zuschlag, von denen laut BMG viele aber die Lieferfristen nicht einhielten. Ob diese dadurch aus dem Vertrag ausschieden, ist strittig. Die Kläger argumentieren, dass beauftragte Logistiker die Übergaben mehrfach verschoben hätten und es schlichtweg keine Möglichkeit gab, die Berge an Masken abzuladen. Auf der anderen Seite beanstandet das Ministerium Qualitätsmängel, die wiederum von den Klägern bestritten werden. „Das ist einfach eine Schweinerei“, sagt Lutz. Das Ministerium versuche auf diesem Wege, die Masken loszuwerden.

Wer mit anderen Klägern spricht, hört Sätze wie „Wir reden hier über Betrug“. Warum? Die Leistungsbeschreibung zu den Lieferverträgen, die unserer Zeitung vorliegt, enthält unter der Produktgruppe „FFP2 Masken“ eine Beschreibung der Normen, die neben „FFP2“ und „N95“ auch „KN95 (CHN)“ vorsieht.

Das BMG habe zwei Tüv-Unternehmen beauftragt, heißt es, die in ihren Qualitätstests nicht den Standard KN95 überprüfen würden, sondern FFP2. Dabei geht es insbesondere um einen Paraffinöl-Test, der bei KN95 nicht zum Standard gehört und deswegen von diesen Masken auch nicht immer erfüllt werde.

Lutz sagt, dass sich seine Geschäftspartner in China schon über Deutschland lustig machen würden. Er ist davon überzeugt, dass seine Masken keine Mängel haben, aber er kommt ja nicht an sie ran, um dies mit eigenen Proben zu untermauern. In gutem Glauben habe er mitgemacht, sagt Lutz, weil der Bund im Kampf gegen Corona im Frühjahr 2020 so schnell wie möglich Millionen von medizinischen Masken gebraucht habe.

Unternehmer Joachim Lutz aus Offenburg vermutet seine unbezahlten FFP2-Masken in Crailsheim. Foto: privat

Unternehmer Joachim Lutz aus Offenburg vermutet seine unbezahlten FFP2-Masken in Crailsheim. Foto: privat

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Erstellt:
15.05.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 13sec
zuletzt aktualisiert: 15.05.2021, 06:00 Uhr

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