Schatz des Monats

Schuppen oder Schamanisches?

Viele Eiszeit-Kunstwerke wie Wildpferd, Fische und Löwenfigur sind mit Markierungen gezeichnet.

12.07.2017

Von Ewa Dutkiewicz

Die Höhlen auf der Schwäbischen Alb, aus denen diese eiszeitlichen Kunstwerke stammen, wurden dieser Tage zum Unesco-Weltkulturerbe ernannt. Im Tübinger Museum auf Schloss Hohentübingen ist ein Teil der Höhlen-Funde ausgestellt. Bild: Jensen/MUT

Die Höhlen auf der Schwäbischen Alb, aus denen diese eiszeitlichen Kunstwerke stammen, wurden dieser Tage zum Unesco-Weltkulturerbe ernannt. Im Tübinger Museum auf Schloss Hohentübingen ist ein Teil der Höhlen-Funde ausgestellt. Bild: Jensen/MUT

Fast alle paläolithischen Elfenbeinfiguren der Schwäbischen Alb tragen unterschiedliche, rätselhafte Markierungen. In vielen der Schnitte fanden sich Spuren von Ocker. In der Altsteinzeit waren diese Markierungen auf der damals weißen Oberfläche des Elfenbeins deutlich als leuchtend rote Schnitte zu sehen. Heute sind sie schwer zu erkennen. Bei genauem Hinsehen kann man entdecken, dass diese Markierungen ein wichtiger Bestandteil der Darstellungen sind.

Die Figuren, die auf rund 40000 bis 35000 Jahre vor heute datieren, bilden ein einzigartiges Zeugnis des Kunstschaffens der frühesten modernen Menschen in Europa. Die hier ausgestellten Objekte stammen alle aus der Vogelherd Höhle bei Niederstotzingen (Kreis Heidenheim). Sie wurden 1931 durch Gustav Riek ausgegraben. Nachgrabungen durch Nicholas Conard zwischen 2005 und 2012 konnten die Sammlung vervollständigen.

Die Markierungen finden sich auf verschiedenen Stellen der Tierfiguren. Häufig werden parallele Linien entlang des Nackens und der Rückenlinie angebracht. Besonders schön und elegant wirken die tief eingeschnittenen Reihen von Kreuzen, die sich auf der großen Mammutfigur finden. Auffällig ist das große Muster aus sich überschneidenden Linien, das sich auf den Rippen der sehr schlanken Löwenfigur befindet. Die Löwen, das Wisent, der Fisch und die anthropomorphe Figur tragen zahlreiche Punkte, die zumeist auf dem gesamten Körper verteilt sind.

Welche Bedeutung diese Markierungen hatten, darüber kann man nur spekulieren. Viele ähneln erstaunlich stark bestimmten Merkmalen der Tiere, wie beispielsweise der Fellzeichnung. Dies scheint bei der berühmten Figur des Wildpferdes der Fall zu sein. Eine Reihe von kleinen Kreuzen entlang der Rückenlinie erinnert an einen Aalstrich, der typisch für Wildpferde ist.

Die Punkte auf der Fischfigur stellen vermutlich die Schuppen dar. Andere Zeichen sind schwerer zu interpretieren. Das große Muster aus überschneidenden Linien auf der Löwenfigur interpretierte Riek beispielsweise als Fangnetz.

Manche Zeichen hat er als Wunden beschrieben. Andere Forscher sehen in den Reihungen einen Hinweis auf Notationssysteme oder sogar astronomische Beobachtungen. Wieder andere erkennen darin einen Hinweis auf schamanistische Praktiken. Die geometrischen Motive würden Tranceerfahrungen widerspiegeln und die dargestellten Tiere als Wesen aus Geisterwelten auszeichnen.

Welchen Sinn diese Markierungen damals auch gehabt haben mögen, ihre Faszination besteht darin, dass sie uns einen unmittelbaren Einblick in die Kultur und Vorstellungswelt der steinzeitlichen Menschen liefern. Es sind Botschaften aus der Eiszeit.

Die Sammlungen

Das Museum der Universität Tübingen MUT präsentiert etwa 4000 Objekte von der Urgeschichte bis zur Klassischen Antike. In der Reihe „Schatz des Monats“ stellen die Kustodinnen und Kustoden des Schlosses die Highlights der Dauerausstellung vor. Die Sammlungen im Schloss Hohentübingen sind mittwochs bis sonntags von 10–17 Uhr und donnerstags von 10–19 Uhr geöffnet.

Führungen: 0 70 71 / 29 77 384 oder

www.unimuseum.de.