Tübingen · Coronavirus

Schulen und Kitas im Not-Modus

Die Einschränkungen des öffentlichen Lebens durch das Virus werden nun auch in Tübingen spürbarer: Ab Dienstag schließen alle Schulen, Kitas und Kindergärten.

14.03.2020

Von loz, hoy, hwa

Das Kepler-Gymnasium bleibt ab Dienstag für fünf Wochen leer: Wegen des Coronavirus schließen alle Schulen und Kitas im Land.Archivbild: Ulrich Metz

Das Kepler-Gymnasium bleibt ab Dienstag für fünf Wochen leer: Wegen des Coronavirus schließen alle Schulen und Kitas im Land.Archivbild: Ulrich Metz

Seit ein paar Tagen“, sagt der Rektor der Geschwister-Scholl-Schule Martin Schall am Freitagnachmittag auf TAGBLATT-Nachfrage, „fühlt es sich so an, als würden wir in der Schule wohnen.“ Wenige Minuten zuvor hatte er die Nachricht aus dem Kultusministerium erhalten, die fürs ganze Land gilt: Am Dienstag der kommenden Woche schließen landesweit alle Kitas und Schulen bis zu den Osterferien, die am Samstag, 4. April, beginnen. Auch Einrichtungen freier Träger sind betroffen. Mit der Maßnahme, so erläuterte es Ministerpräsident Winfried Kretschmann, soll ein Abflachen der Infektionskurve erreicht werden, um mehr intensivmedizinisch betreute Betten und solche mit Beatmungsgeräten in den Krankenhäusern freizuhalten.

Das Virus soll gebremst werden

Für Schall kam die Entscheidung der Regierung nicht ganz überraschend: „Wir sind schon vor der Konferenz der Minister am Freitagvormittag davon ausgegangen, dass schon am Montag keine Schule mehr stattfinden könnte.“ Einige Tage zuvor hatte bereits der Philologenverband flächendeckende Schließungen gefordert, die Lehrergewerkschaft GEW gab am Freitag schriftlich bekannt: „Wir hoffen dass die Schließungen die Ausbreitung des Virus bremsen.“

Während andere Bundesländer die Reißleine der Schulschließungen wenige Stunden zuvor gezogen hatten, kam in Baden-Württemberg die Entscheidung erst am frühen Nachmittag zustande – dies sei der Grund für den zusätzlichen Schultag am Montag. Dieser soll auch in Tübingen dafür genutzt werden, Hausaufgaben und Lernpläne abzusprechen, Betreuungspläne aufzustellen und private Hilfen zu organisieren. Schall: „Auch wenn einige schon mit einer sofortigen Schließung gerechnet hatten, ist es sehr sinnvoll, dass uns der Montag bleibt, um die kommenden Woche zu koordinieren.“

An den Tübinger Kitas in freier sowie in städtischer Trägerschaft bleiben die Türen ebenfalls ab Dienstag geschlossen. Der Montag dient hier allerdings nicht der Koordination von Hausaufgaben: Stattdessen plant die Stadt einen Übergangstag. Demnach sollen Kinder, deren Eltern nicht in so genannten krisenrelevanten Bereichen arbeiten, möglichst bereits am Montag nicht mehr in den Betreuungseinrichtungen abgegeben werden. Alleine an den Tübinger Kitas und Grundschulen sind nach Angaben des Oberbürgermeisters Boris Palmer rund 7000 Kinder betroffen. Ab Dienstag gelten die Betreuungsangebote der Stadt und der freien Träger dann ausschließlich „für Kinder, deren Eltern in Bereichen arbeiten, die zur Bewältigung der Corona-Krise von überragender Bedeutung sind“.

Bei der Definition dieser krisenrelevanten Beschäftigten richtet sich die Tübinger Stadtverwaltung in ihrer Pressemitteilung nach den Vorgaben des Innen- und des Kultusministeriums. Demnach gilt das Betreuungsangebot in Kitas am Montag und die Notfallbetreuung, die am Wochenende ausgearbeitet werden und am Dienstag starten soll, vor allem für „die Beschäftigten der Kliniken und in Arztpraxen, im öffentlichen Nahverkehr und in weiteren Bereichen der technischen Infrastruktur sowie bei der Polizei, bei der Feuerwehr und in weiteren Feldern der öffentlichen Sicherheit.“ Notgruppenpläne für die Kinder von krisenrelevant berufstätigen Eltern will die Stadtverwaltung am Montag bekanntgeben: in „den örtlichen Medien“ sowie auf der Internetseite der Stadt (siehe Infokasten).

Andrejs Petrowski, geschäftsführender Schulleiter der Tübinger Gymnasien, sagte am Freitagabend: „Wir können zum jetzigen Zeitpunkt sagen – und das gilt für alle Tübinger Schulen: In sinnvollem und möglichem Maße werden wir das Lernen weiter anbieten können.“ So stelle, erläuterte Petrowski, der auch Schulleiter des Uhland-Gymnasiums ist, jede Schule Materialien für das häusliche Lernen bereit. Zudem sollen Kommunikationswege geöffnet werden: „Die Schüler werden über Mails, Chats, im Einzelfall auch über Telefonate mit ihren Lehrern sprechen und Fragen an sie richten können“, so Petrowski. Was das Abitur angeht, warte man noch auf genauere Anweisungen aus dem Kultusministerium: „Wir werden den Abiturienten am Montag klarmachen, dass sie nun die Chance haben, die Zeit zuhause gut zu nutzen, um sich auf ihr Abitur vorzubereiten.“ Auch ihnen sollen Lehrer und Tutoren über digitale Kommunikationswege zur Seite stehen.

Schalls Geschwister-Scholl-Schule, an der sowohl eine Gemeinschaftsschule als auch ein Gymnasium zusammengefasst sind, hatte bereits vor einer Woche darüber informiert, an einer provisorischen Cloud-Lösung zu arbeiten, um Schülerinnen und Schüler im Falle einer Schulschließung mit Unterrichtsmaterialien versorgen zu können: „Am Montag wird es darum gehen, dass jeder seinen Zugang und sein Passwort kennt.“ Auch die Lehrerinnen und Lehrer werden noch instruiert: „Die Zeit bis zu den Osterferien sind ausdrücklich keine Corona-Ferien. Wir lernen einfach zu Hause statt in der Schule“, so Rektor Schall.

Übers Wochenende wollen die Schulen und Kitas mit allen beteiligten Stellen Pläne zum Umgang mit den Schließungen erstellen und die provisorischen Pläne verfeinern: „Es ist wichtig, dass wir bis und am Montag Zeit haben, um Dinge zu entscheiden und zu koordinieren“, sagte Gabi von Kutzschenbach, geschäftsführende Leiterin der Grund- und Gemeinschaftsschulen.

„Die Gespräche laufen und die Sekretariate bleiben voraussichtlich auch über den Montag hinaus besetzt“, so von Kutzschenbach weiter. Die Schulen „werden nun altersbezogen und zum Teil auch individuell“ für Beschäftigung der Schüler in der unterrichtsfreien Zeit sorgen: „Wir können nicht davon ausgehen, dass Eltern mit ihren Kindern neue Stoffe erarbeiten können“, so von Kutzschenbach.

Lehrpläne nicht gefährdet

Demnach werde es um Wiederholungen und ein Festklopfen des Gelernten gehen. Entsteht Zeitdruck, Lernpläne und Unterrichtsziele noch einhalten zu können? „Nein“, zeigte sich von Kutzschenbach gelassen. „An den Grundschulen sind wir flexibel genug, dass wir den Fokus für drei Wochen auf Deutsch und Mathe legen können.“ Im Notfall könne man in Fächern wie Kunst oder Musik „ein bisschen kürzen“.

Als „unsichere Situation“ bezeichnet eine Tübinger Sonderpädagogin die Schließung ihrer Schule vor Ostern. „Nach fünf Wochen ohne Unterricht werden unsere Kinder total chaotisch zurückkommen“, befürchtet sie. Bei einigen der Neuntklässler stehe noch ein zweiwöchiges Praktikum vor den Osterferien an. Abgesehen davon, dass dieses auch für die Berufsfindung wichtig sei, sagt die Lehrerin: „Wir haben Schüler, bei denen ist die Situation zuhause in der Familie sehr schwierig. Die lasse ich nur mit Bauchweh so lange zuhause.“ Es sei fraglich, ob dies für die Schüler gutgehe – über so einen langen Zeitraum.

Übers Wochenende sollen Notfallpläne für Kitas und Schulen entstehen

Das Kultusministerium wies am Freitag darauf hin, dass vor Ort Notfallbetreuungen angeboten werden müssen und will dabei zur Seite stehen. So soll auch vermieden werden, dass Großeltern und ältere Verwandte für die Betreuung eingespannt werden – sie gelten als durch das Virus besonders gefährdet. Die Tübinger Stadtverwaltung gab bekannt: Schon am Montag sollen Kinder, deren Eltern nicht krisenrelevanten Berufsgruppen angehören, nicht mehr in die Kitas und Kindergärten kommen. Damit solle das Infektionsrisiko der Kinder, die während der Schließungen betreut werden müssen, verringert werden. Notgruppenpläne für die Zeit ab Dienstag, 17. März, will die Verwaltung am Montag bekanntgeben. Ob und in welcher Form es ab Dienstag auch für Grundschulkinder eine Notfallbetreuung geben kann, entscheidet die Verwaltung ebenfalls im Laufe des Montags. Kinder, die Symptome eines Atemwegs-Infekts aufweisen, können nicht betreut werden. Unverändert gelte, dass Kinder von Familien, die sich innerhalb der letzten 14 Tage in einem Risikogebiet aufgehalten haben, nicht in die Einrichtungen kommen dürfen. Oberbürgermeister Boris Palmer: „Wir sind jetzt auf die eigenverantwortliche Mitwirkung aller Bürgerinnen und Bürger angewiesen. Bitte bringen Sie Ihre Kinder nur dann in die Einrichtungen, wenn Ihre Arbeitskraft dringend zur Bewältigung der Corona-Krise benötigt wird.“ In internen Kreisen werde, wie das TAGBLATT am Freitag erfuhr, bereits darüber beraten, ob Lehrerinnen und Lehrer –etwa von Grundschulen – auch im Sektor der Notfallbetreuung eingesetzt werden könnten. Doch auch an Grundschulen könnten Notfall-Betreuungsgruppen notwendig werden. Auch Tagesmütter und -väter sind von der Entscheidung des Kultusministeriums betroffen. Annette Geist, Geschäftsführerin des Tübinger Tageselternvereins, ist froh, dass auch der Bereich der Tageseltern in mögliche Lösungen miteinbezogen werde. Doch für viele Eltern sei die Situation hochproblematisch: „Die gewohnten sozialen Netze zur Betreuung durch die Großeltern oder älteren Nachbarn fallen schließlich weg.“ Geist und ihr Team wollen das Wochenende durcharbeiten, um Notfallbetreuungen zu ermöglichen. „Es ist unsere selbstverständliche Aufgabe, dieses Betreuungssystem mitzugestalten.“ Die Perspektive betroffener Eltern kennt Carolin Petry, Vorsitzende des Gesamtelternbeirats der Tübinger Schulen. Der Beirat begrüße die Schulschließungen, die nur noch eine Frage der Zeit gewesen seien. „Für manche Eltern ist es allerdings befremdlich, dass die Schulen am Montag noch offen sind“, sagt Petry. „Es gibt sicher auch einige, die sich Sorgen um die Betreuung der Kinder machen - aber für die meisten stehen erstmal gesundheitliche Fragen im Vordergrund.“

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Erstellt:
14.03.2020, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 5min 16sec
zuletzt aktualisiert: 14.03.2020, 01:00 Uhr

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