Technologiepark kontra Kulturdenkmal

Schützenswerte Bodenwellen

Die Wölbäcker östlich des Horemers gelten als einzigartiges Kulturdenkmal. Dennoch müssen sie bald dem erweiterten Technologiepark weichen.

09.04.2018

Von Philipp Koebnik

Wölbäcker auf dem Horemer: Die Styropor-Balken verdeutlichen den Verlauf der Bodenwellen, rechts ist der zugeschüttete Graben zu sehen. Bild: Faden

Wölbäcker auf dem Horemer: Die Styropor-Balken verdeutlichen den Verlauf der Bodenwellen, rechts ist der zugeschüttete Graben zu sehen. Bild: Faden

Unscheinbar sehen sie aus, mit bloßem Auge kaum zu erkennen. Viele Spaziergänger bemerken sie wohl erst, wenn sie darüber stolpern. Dennoch gelten die Wölbäcker auf dem Horemer als Kulturdenkmal. Die wellenförmigen Erhebungen zeugen von „einer vergangenen Art, Ackerbau zu betreiben“, erklärt Beate Schmid vom städtischen Denkmalamt.

Bald wird dieses Überbleibsel des Mittelalters (siehe Infobox) verschwunden sein. Denn der Technologiepark soll in den kommenden Jahren erweitert und die alten Ackerflächen dafür überbaut werden. Zwar haben die Wölbäcker den Status eines Kulturdenkmals, weswegen seitens des Denkmalschutzes Bedenken gegen eine Bebauung angemeldet worden waren. Diese wurden jedoch einstweilen „zurückgestellt“, so Schmid – unter der Bedingung, dass dieses kulturlandschaftliche Zeugnis gut dokumentiert wird.

Das ist inzwischen weitgehend geschehen. Mit Hilfe von Drohnen wurden Aufnahmen von der Wiese gemacht und die Entfernung einzelner Punkte gemessen. Auf Grundlage dieser Daten wurde ein 3D-Geländemodell erstellt, erklärt Schmid. Außerdem ließ die Stadt, der das Grundstück gehört, einen Graben in Nord-Süd-Richtung ausheben, um die Struktur der Wölbung festzuhalten und Erd-Proben zu entnehmen. Mit Hilfe der Radiokarbonmethode sollen diese Aufschluss über das Alter geben.

Dass das Kulturdenkmal überbaut werden soll, findet Schmid „nicht erfreulich“ und „sehr schade“. Diese Wölbäcker seien „extrem gut erhalten“ und zudem nicht, wie sonst häufig, von Wald überwachsen oder durch spätere andere Bewirtschaftungstechniken eingeebnet worden. Denn der Horemer, der relativ weit weg von der damaligen Besiedlung gelegen ist, sei schon früh nur noch in der Fläche bewirtschaftet worden. Heute blühen dort Streuobstwiesen.

Das Regierungspräsidium (RP) habe die Stadt erstmals 2017 auf die Wölbäcker hingewiesen, so die städtische Pressesprecherin Sabine Schmincke. Und das, obwohl die Bebauung schon seit Jahren im Gange sei. Indes seien Wölbäcker keine Seltenheit. Deshalb begnüge sich das RP wohl auch mit einer ausführlichen Dokumentation, vermutet Schmincke.

Zwar gebe es Wölbäcker auch andernorts auf der Gemarkung Tübingen, etwa zwischen Lustnau und Pfrondorf, so Schmid. Allerdings müsse man da „sehr genau hingucken“, um etwas zu erkennen. Nicht jeder Wölbacker sei mithin ein Kulturdenkmal. Der auf dem Horemer wird gleichwohl bald Geschichte sein. Wirtschaftliche Interessen wiegen offenbar schwerer: „Kulturdenkmal gegen Technologiepark – da können Sie sich ausmalen, wer gewinnt“, sagt Schmid.

Oberbürgermeister Boris Palmer hatte sich Ende Oktober zu dem Thema geäußert, bei der Grundsteinlegung des neuen Forschungsgebäudes der Tübinger Firma Curevac. Es könne nicht sein, sagte er damals, dass „gewölbte Äcker“ eine Ausweitung des für Tübingen so wichtigen Technologieparks verhinderten.

Eine wellige Landschaft, in Jahrhunderten gewachsen

Wölbäcker sind ein Relikt des Mittelalters. Die parallel verlaufenden, gewölbten Ackerbeete entstanden durch die Verwendung nicht wendbarer Pflüge. Diese konnten – im Gegensatz zum späteren Wendepflug – die Scholle nur nach einer Seite wenden: in die Mitte des Felds. Um das Pfluggespann möglichst selten wenden zu müssen, wurden die Flure als Langäcker angelegt. Sie hatten eine Breite von wenigen Metern und Längen von 100 Metern oder mehr. Durch langjähriges Pflügen in dieser Weise wurde immer mehr Ackerkrume zur Ackermitte verlagert, wodurch diese erhöht und die Ackerränder vertieft wurden. Die Scheitelhöhe konnte dabei bis zu einem Meter erreichen. Als mögliche Zwecke dieser Art des Ackerbaus gelten die Entwässerung feuchter Böden, die Anreicherung von Nährstoffen und eine sichtbare Grenzziehung.

Die Anlage von Wölbäckern machte schwere und feuchte Böden in Niederungen nutzbar.

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Erstellt:
09.04.2018, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 42sec
zuletzt aktualisiert: 09.04.2018, 01:00 Uhr

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