Tübingen · Unterhaltung
Streamer Donnie O‘Sullivan: „Scheiße labern, auf gut Deutsch g’sagt“
Donnie O’Sullivan redet im Internet und verdient damit seinen Lebensunterhalt. Er hat zwei Podcasts und streamt auf der Plattform Twitch – dort teilt der Ex-Tübinger viel von seinem Leben mit Fremden. Wie funktioniert das?

Das sehen die Zuschauer und Zuschauerinnen in O’Sullivans Stream. Links die Nachrichten in seinem Chat. Bild: Screenshot: Twitch.tv/donnie_oh
Wer herausfinden möchte, was Donnie O’Sullivan beruflich macht, steht recht schnell vor einem Problem. Auf dem Wikipedia-Artikel des Wahlberliners, der in Tübingen aufgewachsen ist, stehen ganze neun Berufsbezeichnungen. Moderator ist er, steht da, und Fernsehautor. Außerdem ist er Musikproduzent, Podcaster, Werbetexter, Livestreamer, Redakteur, Grafikdesigner und Stimmenimitator. „Ich frag’ mich immer, wer das bearbeitet“, sagt O’Sullivan: „Das meiste stimmt aber. Bis auf das mit dem Stimmenimitator vielleicht.“
Gemacht hat der gebürtige Ire in seinem Leben tatsächlich schon viel, seit er von Tübingen nach Berlin gezogen ist (wir berichteten). Zu beschreiben, was sein Beruf ist, das fällt ihm dennoch schwer. „Das ist genau mein Problem. Ich versuche seit 20 Jahren, meiner Mutter zu erklären, was ich eigentlich beruflich mache. Die checkt das immer noch nicht so ganz, glaub’ ich“, scherzt der 39-Jährige. Im Grunde hat alles, was er macht, immer eines gemein: „Ich unterhalte Leute. Ich mach das schon immer. Ich war in der Schule der Klassenclown, hab danach allen möglichen Kram in die Richtung gemacht. Jetzt mache ich das auf eigene Faust, online.“
Zwei bis viermal die Woche streamt er auf der Live-Plattform Twitch. Hin und wieder macht er Videos für Youtube. Er ist Teil von zwei Podcasts, lädt Kurzclips auf Instagram und Tiktok hoch. Auf Spotify ist er mit seinen Podcasts im Regelfall Teil der 100 beliebtesten in den deutschen Comedy-Charts, knackt auch hin und wieder die Top 50. Auf Twitch schauen live oftmals 1000 Menschen oder mehr zu, auf Youtube hat er über 40 000 Abonnenten und Abonnentinnen. Leben kann er davon gut.
Manchmal spielt er in seinen Streams Videospiele, oft unterhält er sich mit seinen Zuschauern und Zuschauerinnen im Chat, redet über Filme und Serien oder gibt lustige Anekdoten aus seinem Leben zum Besten: Er erzählt davon, wie er eine verhasste Ex-Mitbewohnerin trifft, von einem Junggesellenabschied mit Kanu-Tour, redet über Steuern. Immer findet er das Lustige in Situationen. Oder, wie er seinen Job selbst beschreibt: „Scheiße labern, auf gut Deutsch g’sagt.“
Warum ihm dabei so viele Leute zuschauen, wird auch im Gespräch mit dem TAGBLATT schnell klar. O’Sullivan hangelt sich von Gag zu Gag, lacht viel, redet schnell und gibt lange und unterhaltsame Antworten. Er quatscht über dieses und jenes, schweift ab und fragt dann am Ende „Hat das deine Frage beantwortet?“, als wäre er sich selbst nicht mehr ganz sicher, was die eigentlich gewesen ist.
Auch wenn er in seinen Streams alleine vor der Kamera sitzt, trägt er das Format nicht nur selbst. Extrem wichtig sind laut ihm die Zuschauer. „Ich bin auf meinem Stream eine One-Man-Show, aber das funktioniert nur in Zusammenarbeit mit dem Chat. Wir spielen uns die Bälle zu.“ Da es live ist, haben die Zuschauer immer die Möglichkeit, vom heimischen Wohnzimmertisch aus, mit dem Streamer zu kommunizieren. „Die liefern teilweise die besseren Gags als ich“, gibt O’Sullivan zu. Vereinfacht gesagt ist sein Stream also so etwas wie eine frei zugängliche, interaktive und improvisierte Online-Stand-Up-Comedy Show.
O’Sullivans Content lebt aber nicht nur von seinen Gags, sondern auch von Offenheit und Authentizität. Genau wie in seinem Solo-Podcast „That’s what he said“ teilt er auch im Stream hin und wieder die schlechten Seiten seines eigenen Lebens. „Der Podcast wurde von einem Unterhaltungsformat zu einer Art Tagebuch“, sagt er. „Ich gebe da hin und wieder auch Einblicke in meine Psyche, in meine Probleme, je nachdem wie’s mir geht.“ Sein Podcast erscheint wöchentlich, es gibt keine Gäste. Ein Format, das in Amerika recht beliebt ist, in Deutschland aber noch nicht so weit verbreitet. Im Grund genommen führt O’Sullivan eine Stunde Selbstgespräche über Lustiges, Ernstes und Ärgerliches. Wenn er schlechte Laune hat, wenn ihn etwas aufregt, hört man das. „Ein bisschen schimpfen, bissle motzen, das ist ja auch schwäbisch.“
Diese Authentizität, dieses Hereinlassen Tausender Fremder in sein Privatleben, ist ein zweischneidiges Schwert. Wie balanciert man so etwas? „Das frage ich mich auch jede Woche“, sagt O’Sullivan. „Ich mache diesen Job einfach super gerne, ich mache ihn gut und es gibt nichts anderes, was ich so gut kann“, sagt er. „Ich funktioniere einfach nur, indem ich authentisch bin. Dass ich mich damit gläsern und unmysteriös mache, ist ein bisschen der Preis, den ich zahle.“ Wenn er aber im Podcast darüber redet, dass es ihm nicht gut geht, erhalte er oft positives Feedback: „Die Leute sagen dann: Das tut gut zu hören, dass Leute, die ich für berühmt halte, auch über sowas reden.“
Das spiegelt sich auch in seinen Zuschauer- und Zuhörerzahlen wider – und in der Bereitschaft seiner Fans, ihn zu unterstützen. Sein Publikum fördert ihn mit bezahlten Abos auf Twitch und über die Website Patreon. Mehrere hundert Leute zahlen jeweils auf beiden Webseiten ein paar Euro im Monat, um O‘Sullivans Content zu finanzieren. Hin und wieder hat er auch bezahlte Partnerschaften, erst vor kurzem berichtete er für Lidl von Rock am Ring.
Und was macht er in Zukunft, der Mann mit den vielen Berufen, die sich nicht so richtig beschreiben lassen? Fängt er einen neuen Job an und macht auf Wikipedia die Zehn voll? „Wenn noch ein Beruf dazukommt, wird das sowas wie Mechatroniker in Poltringen“, sagt O’Sullivan. „Das wird dann der Punkt sein, an dem ich sage: Ich wechsel jetzt einfach mal komplett den Job.“
„Ich bin stolzer Tübinger“
Obwohl O’Sullivan seit beinahe 20 Jahren in Berlin wohnt, kommt er auch immer wieder zurück nach Tübingen. „Ich bin stolzer Tübinger. Ich hatte hier eine gute Zeit in der Jugend.“ Gewohnt hat O’Sullivan in Entringen, zur Schule gegangen ist er auf der Silcherschule und, nach der vierten Klasse, aufs Kepler-Gymnasium. „Inzwischen fühle ich mich auch alt in der Stadt. All die Clubs, in die ich gegangen bin, sind weg und den Bahnhof check ich außerdem überhaupt nicht“, sagt er. „Dann geh ich halt in den Neckarmüller.“ Trotzdem ist er gerne in der Heimat: „Einmal Tübinger, immer Tübinger, glaub ich.“
Twitch ist eine Website, auf der Menschen alles mögliche Live im Internet übertragen, „streamen“, können. Ursprünglich waren das hauptsächlich Videospiele, inzwischen ist die Bandbreite dessen, was gestreamt wird, enorm. Ein paar Beispiele: Videospiele, Gesprächsformate, Reisen, Reality-Formate, Sport, Musik, Kunst und Zeichnen oder Einblicke ins Berufsleben.
Finanziert wird die Arbeit größtenteils von den Zuschauern selbst, die spenden oder ein kostenpflichtiges Abonnement bei einzelnen Streamern abschließen können. Außerdem gibt es Einnahmen über Werbung und Sponsoren. „Twitch ist einfach eine Bühne, auf der man unterhalten, informieren und Meinungen abgeben kann“, beschreibt O‘Sullivan. Seit 2014 gehört Twitch zu Amazon. Gekostet hat die Streaming-Website damals stolze 970 Millionen US-Dollar.