Kino

„Schau mir in die Augen“

In Münsingen kommen Filmliebhaber ins Schwärmen. Im wieder eröffneten Lichtspieltheater laufen die Klassiker mit Humphrey Bogart & Co.

29.12.2017

Von JOACHIM LENK

Betreiber Hans-Jochen Kraft im früheren Münsinger Truppenkino. Seit dem Sommer gibt es im 1966 geschlossene Lichtspieltheater wieder Filme zu sehen. Foto: Joachim Lenk

Betreiber Hans-Jochen Kraft im früheren Münsinger Truppenkino. Seit dem Sommer gibt es im 1966 geschlossene Lichtspieltheater wieder Filme zu sehen. Foto: Joachim Lenk

Münsingen. Casablanca“, der berühmte Streifen von 1942, flimmert schwarz-weiß und mono über die Leinwand. Rick (Humphrey Bogart) sagt zu Ilsa (Ingrid Bergman) den bekanntesten Spruch der Filmgeschichte. „Ich seh' dir in die Augen, Kleines.“ Die 101 Zuschauer im Kino in Münsingen schmelzen dahin. Vor 75 Jahren wurde dieses Melodram an diesem Ort nicht gezeigt. Der zum Klassiker gewordene Streifen richtete sich gegen die Nationalsozialisten.

Die Cineasten sitzen nicht in bequemen Polstersesseln, sondern auf alten Holz-Klappstühlen in einem Lichtspielhaus mit Oberlicht-Lüftung, das direkt an der ehemalige Soldatensiedlung Altes Lager steht. Dort waren im vergangenen Jahrhundert Männer des Kaiserreichs, der Reichswehr, der Wehrmacht, der Bundeswehr und ausländischer Armeen stationiert, wenn sie auf dem Schießplatz nebenan übten.

Gleich hinter dem 2,50 Meter hohen Sicherheitszaun eröffnete vor 81 Jahren das Ludwigsburger Ehepaar Eugen und Emilie Schwarz das „Truppen-Tonfilm-Theater“. Mit dem Hintergedanken, dass dort nicht nur Bürger aus der Region, sondern auch die benachbarten Soldaten, Filme schauen.

30 Jahre lang strömen die Leute

Die Rechnung ging auf. Bei der Premiere am 1. Februar 1936 mit dem Film „Der alte und der junge König“ mit Emil Jannings strömten 595 Besucher ins Lichtspielhaus mit 600 Plätzen. Der Boom sollte 30 Jahre anhalten. Doch dann wurden in der Münsinger Innenstadt die Kammerlichtspiele eröffnet und das Fernsehen feierte Einzug in die Haushalte auf der Alb. Die Konkurrenz war so groß, dass das Tonfilm-Theater 1966 wegen stark zurückgegangener Besucherzahlen schließen musste.

Danach nutzte die Bundeswehr das Gebäude. Vor drei Jahren kauften Hans-Jochen und Sandra Kraft das alte Gemäuer. Das Ehepaar aus Münsingen, das nebenher mit Motorräder handelt, suchte Verkaufsräume. Monatelang wurde, neben der täglichen Arbeit, renoviert und restauriert. Immer wieder entdeckten sie Spuren der Vergangenheit: Originalplakate, Eintrittskarten, Filmspulen, den Schaltkasten mit Notbeleuchtung.

Nach und nach erkannten die Krafts, beide 47, das Potenzial der Räumlichkeiten im Retro-Charme. Nach vielen Arbeiten wurde am 3. Juli 2017 die zweite Eröffnung des Truppen-Tonfilm-Theaters mit „? denn sie wissen nicht, was sie tun“ und James Dean in der Hauptrolle gefeiert. Ohne großes Brimborium und ohne Ehrengäste. 81 Jahre zuvor spielte zur Feier des Tages die Bataillonsmusik des 4. Maschinengewehrbataillons und das Doppelquartett des Metzinger Liederkranzes Eintracht. Dafür begrüßt Hans-Jochen Kraft heute auf der Bühne jedes Mal die Gäste, erklärt Besonderheiten des Films und wünscht „Ihnen und mir viel Spaß“. Seit fünf Monaten ist im Lichtspielhaus jeden Montag um 19 Uhr und um 21 Uhr Kinotag. Am 18. Dezember lief mit „Jenseits von Eden“ der letzte Film im Jahr 2017.

„Der Versuch nach so vielen Jahren ist geglückt“, freuen sich die Krafts. Zu den 42 bisherigen Vorstellungen kamen im Schnitt jeweils immerhin zwei Dutzend Besucher. Am 5. Januar ist die erste Vorstellung im neuen Jahr. „Verdammt in alle Ewigkeit“ mit Burt Lancaster aus dem Jahr 1955 läuft.

Früher hochmodern: Kinokartenautomat.  Foto: Joachim Lenk

Früher hochmodern: Kinokartenautomat. Foto: Joachim Lenk