Mit geschmückten Booten in den Kampf

Schatz des Monats September: eine pazifische Galionsfigur vom Insel-Staat Chuuk

In unserer Reihe „Schatz des Monats“ präsentieren die Kustod(inn)en des Museums Schloss Hohentübingen die besten Stücke der Dauerausstellung Alte Kulturen. In diesem Monat: eine pazifische Galionsfigur aus der Ethnologischen Sammlung.

07.09.2016

Schatz des Monats September: eine pazifische Galionsfigur vom Insel-Staat Chuuk

Tübingen. Der Insel-Staat „Chuuk“ (früher: Truk) besteht aus einem besonders großen Atoll. Er ist Teil der „Föderierten Staaten von Mikronesien“ und liegt nahe am Äquator im Westlichen Pazifik. Seine Größe hat einen zumindest mittelbaren Einfluss auf die pazifische Galionsfigur, die derzeit in der Dauerausstellung „Alte Kulturen“ im MUT gezeigt wird. Neun von den zahlreichen über die weit über 2000 Quadratkilometer große Lagune verteilten Inseln vulkanischen Ursprungs waren zum Zeitpunkt der Beschaffung der Figur im Jahre 1907 bewohnt. Das Atoll stellte in jener Zeit faktisch einen sich selbst genügenden Archipel dar.

Bei den anderen, zumeist kleineren Inseln in Mikronesien waren Außenkontakte von unverzichtbarer Bedeutung. Die Reisenden entwickelten auf ihren Fernfahrten sowohl ein außergewöhnliches Wissen über Navigation als auch über die Konstruktion von für die Fernfahrten geeigneten hochseetüchtigen Ausleger-Booten. Für diese wurde eine Länge von etwa acht Metern als ausreichend erachtet. Solche Boote gab es zwar auch in Chuuk, denn auch von dort wurden Fernfahrten unternommen. Aber auf danebenliegenden Inseln wurden Boote gebaut, die mitunter die Länge der Fernfahrten-Boote um deutlich mehr als das Doppelte übertrafen. Der Sammler der hier vorgestellten Galionsfigur, Augustin Krämer, berichtet in seiner ethnographischen Monographie über die von ihm noch als Truk bezeichnete Insel, dass er bei seinem Forschungsaufenthalt auf dem Insel-Staat ein 21 Meter langes Auslegerboot gesehen habe. Dieses habe bei ruhiger See, wie sie auf der Lagune überwiegend gegeben war, 60 Passagiere tragen können.

Der Grund für den Bau derartig großer Boote für den Verkehr auf der Lagune lag in den häufigen kriegerischen Auseinandersetzungen, die es zwischen den Einwohner-Gruppen auf den Inseln gab. Zum Einsatz kamen Flottillen von 40 der Ruderboote, wie sie Krämer bezeichnet (obwohl die Fortbewegung mit Paddeln eher der Form, die in Kanadier-Kanus verwendet wird, entsprach). Die Boote wurden für die Auseinandersetzungen sowohl am Bug als auch am Heck mit Galionsfiguren geschmückt. Für die großen Boote, die die Flottillen anführten, bedurfte es entsprechend große Galionsfiguren wie der in der Tübinger Sammlung. Deren Maße werden von ihrem Sammler Krämer in seiner Monographie mit einer Spannweite von 83,5 Zentimetern und einer Höhe von 50 Zentimetern angegeben. Sie wurden auf Pfeilern so befestigt, dass durch die unten in der Figur befindliche Öffnung ein Strick mehrfach gezogen und mit den um die Pfeiler herum geführten Stricken verbunden wurde.

Über die Bedeutungen, die den Formen der Galionsfigur zukommen, konnte zur Zeit der Abfassung von Krämers ethnographischer Monographie weder mit allen der von ihm auf Truk befragten Informanten noch mit anderen Autoren Einigkeit erzielt werden. Die Interpretation von Krämer: Mit der Galionsfigur sollte eine stilisierte menschliche Figur abgebildet werde, auf deren nach oben gestreckten Armen zwei Seeschwalben sitzen, die sich mit ihren Schnäbeln auf dem Kopf der menschlichen Figur berühren.

Krämer selbst fand es jedoch nicht so wichtig, ob seine Interpretation allgemein akzeptiert wurde. Er stellte nur fest, dass sich alle Beteiligten einig waren, dass mit den Figuren jeweils eine größtmögliche Schönheit erreicht worden sei. Ein besonders gut aussehender und schön geschmückter junger Mann sei von den Trukesen in positiv gemeintem Sinn mit einer „Eten“, also mit einer solchen Galionsfigur, gleichgesetzt worden.Volker Harms

Ein mit Galionsfiguren geschmücktes Boot vom Insel-Staat Chuuk im Pazifik. Federzeichnung: Elisabeth Krämer-Bannow

Ein mit Galionsfiguren geschmücktes Boot vom Insel-Staat Chuuk im Pazifik. Federzeichnung: Elisabeth Krämer-Bannow

Schätze Alter Kulturen

Das Museum der Universität Tübingen (MUT) vereint die größte Zahl an Universitätssammlungen im deutschsprachigen Raum. Nach einer aktuellen Modernisierung zeigt das MUT die Alten Kulturen auf Schloss Hohentübingen nun auch in neuem Licht. Hier werden derzeit etwa 4000 Objekte von der Urgeschichte über die Klassische Antike bis zu den außereuropäischen Weltkulturen präsentiert. Öffnungszeiten: mittwochs bis sonntags von 10 bis 17 Uhr, donnerstags von 10 bis 19 Uhr.