Tübingen · Wissenschaft

Kurzzeitgedächtnis: Scharf gesehen, schlecht erinnert

Objekte in zentraler Blickrichtung kann man schlechter aus dem Kurzzeitgedächtnis abrufen, sagen Forscher.

10.07.2022

Von ST

Das menschliche Sehvermögen ist im Bereich der Sehgrube (lateinisch Fovea centralis) am schärfsten. Paradoxerweise kann man diesen Teil des Gesichtsfeldes schlechter aus dem Kurzzeitgedächtnis abrufen. Das ist das Ergebnis einer Studie von Prof. Ziad Hafed und seinem Team vom Hertie-Institut für klinische Hirnforschung und dem Werner Reichardt Centrum für Integrative Neurowissenschaften der Universität Tübingen. „Wir Menschen verlassen uns in hohem Maße auf das foveale Sehen“, sagt Konstantin Willeke, einer der Wissenschaftler. „Hier sehen wir Objekte am schärfsten. Menschen und Gegenstände, die außerhalb unserer Blickrichtung liegen, nehmen wir mit zunehmendem Abstand verschwommener wahr.“

Doch scheinen nicht alle Sehinformationen aus der zentralen Blickrichtung auch gut im Gedächtnis zu bleiben. Das stellten die Tübinger Hirnforschenden fest, als sie untersuchten, mit welcher Genauigkeit foveale Bilder im Kurzzeitgedächtnis repräsentiert werden. Bei Experimenten machten Versuchspersonen die größten Fehler bei den Lichtreizen, die im Bereich des fovealen Sehens präsentiert wurden. „Das lässt vermuten, dass die Repräsentation im Kurzzeitgedächtnis stark verzerrt ist,“ so Studienleiter Hafed.

Er vermutet, dass Sehreize aus der Sehgrube von relativ vielen Nervenzellen verarbeitet werden, um eine hohe visuelle Auflösung zu erreichen. Ihre mentale Repräsentation sei daher vergrößert. Reize aus den Randbereichen des Gesichtsfeldes würden hingegen von weniger Nervenzellen verarbeitet: „Orientiert sich die Versuchsperson bei der Gedächtnisaufgabe im mentalen Raum und überträgt die Entfernungen dann auf die Außenwelt, kommt es zu den relativen Abweichungsfehlern.“

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