Gomaringer Jugendfeuerwehr

Schutz vor Hochwasser: Säcke sind Mangelware

Die Gomaringer Jugendfeuerwehr verteilte Sandsäcke zum Schutz vor Hochwasser an Einwohner. Der Erlös aus der Aktion kommt Flutopfern zugute.

01.08.2021

Von Amancay Kappeller

Riesenandrang war am Samstagvormittag vor dem Gomaringer Bauhof in der Robert-Bosch-Straße: Die Jugendfeuerwehr gab Sandsäcke aus – und die Bürger freuten sich darüber. „Ich finde das Angebot toll“, sagte eine 65-jährige Gomaringerin, Autoschlange in der prallen Sonne hin oder her. Bei dem Unwetter im Juni drang in ihr Haus Wasser ein, und auch bei der Tochter lief es hinein. 20 Säcke orderte die Familie im Vorfeld: als Schutz, damit der Starkregen beim nächsten Ereignis so wenig Schaden wie möglich anrichtet.

2700 weiße Säcke befüllten die Mädchen und Jungen der Jugendfeuerwehr gemeinsam mit Eltern und Aktiven am Freitagabend. 2300 davon waren vorbestellt. Die Freiwillige Feuerwehr Pfullingen lieh den Kameraden aus Gomaringen für die Aktion extra eine Abfüllanlage. An der können sieben Säcke gleichzeitig gefüllt werden. „Sonst hätten wir den Ansturm gar nicht bewältigen können“, berichtet Kommandant Jochen Ankele.

Rare Sandsäcke aus Mössingen

Nach dem Hochwasser vor ein paar Wochen, das auch Gomaringen hart traf, war die Nachfrage nach Sandsäcken bei Gemeinde und Feuerwehr groß, erzählt Jugendfeuerwehrwart Benjamin Junger. Damals wurden aber nur leere Säcke verteilt. 146 Mal musste die Freiwillige Feuerwehr Gomaringen nach dem jüngsten Starkregen ausrücken. „Im Vergleich zu NRW war das Pillepalle“, sagt Ankele. Aber für Gomaringer Verhältnisse war es trotzdem heftig. „Wir hatten auch Leute mit 1,70 Meter Wasser im Keller“, so Ankele.

Sandsäcke sind derzeit Mangelware: Die Erfahrung hat die Gomaringer Wehr jetzt machen müssen. „Das ist mittlerweile wie Klopapier“, sagt Junger. 1000 Säcke konnten die Gomaringer noch von der Freiwilligen Feuerwehr Mössingen abkaufen.

Am Freitag und Samstag waren jeweils 35 Helfer im Einsatz. Die Gemeinde stellte den Sand zur Verfügung und zahlte die Beschaffung der Säcke. Bauhof-Mitarbeiter Sven Dürr karrte am Samstag Palette um Palette mit dem Stapler an. Beladen wurde am Kreisverkehr vor dem Bauhof. Sack um Sack wanderte in Kofferraum oder Anhänger, beim Einladen wurde laut mitgezählt. „Da wisst ihr, was ihr geschafft habt heute Abend“, lobte ein Kunde mit 20 Säcken im Hänger die jungen Helfer.

Zu denen gehörten auch Max, Jannik und Alisia. Man helfe gerne, erklärten die Jugendlichen. Schließlich sei der Erlös ja für einen guten Zweck: Er kommt Flutopfern zugute. Amy und Nina hakten durchs Autofenster Namen von Vorbestellern ab und gaben die Menge der bestellten Sandsäcke an ihre jungen Kameraden weiter, unterstützt von Benjamin Junger. „Es wird unerwartet gut angenommen“, freute sich der.

Olaf Hellmuth ließ sich 50 Säcke ins Auto stapeln – und das gleich zwei Mal hintereinander, denn die gesamte Last konnte das Auto nicht auf einmal tragen. 12 bis 20 Kilo wiegt ein einziger Sack immerhin, je nach Füllstand. Hellmuth besitzt ein im Jahr 1620 erbautes Fachwerkhaus in der Linsenhofstraße, direkt an der Wiesaz. Beim letzten Unwetter stand das Wasser „bis zu den Schwellen“, berichtet der Gomaringer.

Die 100 Sandsäcke sollen helfen, Fassade und Keller zu schützen. In den 1960er-Jahren riss es vor dem Haus eine Brücke weg, weiß Hellmuth aus Aufzeichnungen. Angst hat er vor einem nächsten Unwetter nicht, wohl aber Respekt: „Dass die Wiesaz Zähne zeigen kann, das wussten wir, andererseits steht das Haus auch schon seit 400 Jahren.“

Sand gäbe es genug

Am Samstag wurden im Hof des Bauhofs die restlichen leeren Säcke von Hand befüllt. Die manuelle Füllstation war eine Leihgabe der Freiwilligen Feuerwehr Mössingen. Optimal gefüllt sind die Behältnisse laut Ankele, wenn zwei Drittel Sand drin ist – dann können sie sich auch noch gut zurechtformen unter Belastung. „Sand hätten wir noch genug, aber keine Säcke mehr“, so Ankele.

„Besser vorsorgen“, findet eine Gomaringerin, die 20 Sandsäcke mitnimmt. Hochwässer könne fast jeden unvermittelt treffen. Beim letzten Unwetter lief am Haus ein außenliegender Schacht voll, weil viel Dreck angeschwemmt worden war, der ihn verstopfte. „Und dann besteht das Risiko, dass es in die Garage läuft.“

Wer am Samstag nicht aus dem Haus kam, um Sandsäcke abzuholen, der schaute aber nicht in die Röhre: Ältere Leute und solche ohne Hänger bekamen den Hochwasserschutz sogar nach Hause geliefert. 15 Haushalte wurden angefahren und insgesamt 230 Säcke abgeladen, gab Jugendgruppenleiter Matthias Faßnacht einen Überblick.

Der Erlös geht an Flutopfer

75 Prozent des Erlöses aus der Sandsack-Aktion geht an Familie Baur aus Altenahr. Während des Unwetters Mitte Juli harrte die Familie, bestehend aus der schwangeren Ehefrau, dem Ehemann, der dreijährigen Tochter und den Eltern des Mannes, 15 Stunden lang auf dem Dach ihres Hauses aus, bevor sie von Rettungskräften geborgen wurde. Das Haus der Baurs wurde durch den Starkregen unbewohnbar und muss wahrscheinlich abgerissen werden. Der Rest des Geldes geht an Daniel L. aus Erftstadt-Blessem in Nordrhein-Westfalen. Seine Erdgeschosswohnung wurde bei dem Unwetter komplett zerstört. Eine Versicherung konnte der Westfale aufgrund der geografischen Lage seiner Wohnung im Vorfeld erst gar nicht abschließen.

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Erstellt:
01.08.2021, 20:52 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 42sec
zuletzt aktualisiert: 01.08.2021, 20:52 Uhr

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