SPD

SWP-Leitartikel: Stillstand

Kann ja sein, dass die SPD nur Kräfte sammelt für das große Wahljahr.

05.12.2020

Von ANDRé BOCHOW

Berlin. Es ist auch möglich, dass die ruhmreiche deutsche Sozialdemokratie nicht nur imstande ist, einen Kanzlerkandidaten zu präsentieren, sondern auch einen Kanzler. Vielleicht ist die SPD immer noch die politische Riesin, für die sie sich hält. Ein Jahr nach der Wahl von Saskia Esken und Norbert Walter- Borjans an die Spitze der Partei sieht es allerdings kein bisschen danach aus.

Bei den Umfragen verharrt die SPD weiter bei 15 Prozent. Nichts hat sich in Richtung der 30 Prozent ewegt, die Esken und NoWaBo als Zielmarke ausgerufen haben. Der Dauerkoalitionspartner der Union hält sich einiges darauf zugute, solide Regierungsarbeit zu leisten und nicht kleinlich Punkte im vorgezogenen Wahlkampf zu sammeln. Das ist ehrenhaft. Die eigentliche Frage, warum die Wähler die SPD zur Kanzlerpartei machen sollten, wird von den Spitzengenossen derzeit vor allem damit beantwortet, dass der seiner Nominierung noch harrende Unionskandidat in jedem Fall die schlechtere Wahl ist. Am besten, so das Kalkül, tritt Friedrich Merz an, dann werden die Wähler vor der sozialen Abrissbirne aus dem Sauerland Angst bekommen und Olaf Scholz in Erwägung ziehen. Das ist kein Plan, sondern eine Mischung aus Hoffnung, Spekulation und Verzweiflung.

Immerhin: Der weitere Absturz wurde aufgehalten. Dem SPD-Führungsduo ist durchaus Veränderungswillen und Lernfähigkeit zu attestieren. Das anfängliche, meist folgenlose Vorschlagsfeuerwerk wurde zugunsten eines besonnen Führungsstils eingestellt. Zu Recht verweisen Esken und Walter-Borjans auf das Ende des Basta-Stils. Aber ihr größter Erfolg bislang ist die Geheimhaltung der Kanzlerkandidatur von Olaf Scholz bis zu ihrer Verkündung. Zu wenig vor dem Wahljahr.

Die Ruhe, die als neue Qualität ausgegeben wird, hat mindestens zwei Haken. Erstens wird die SPD weniger wahrgenommen und zweitens gilt die Ruhe maximal für das Willy-Brandt-Haus. In der Bundestagsfraktion gab es zuletzt Personalquerelen, in Berlin kämpft die in den Umfragen abgerutschte Landespartei mit einer angeschlagenen Spitzenkandidatin um das Rote Rathaus und in Nordrhein-Westfalen tobt ein erbitterter Machtkampf um den dortigen Parteivorsitz. Die anstehenden Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz drohen zum Gegenteil von einem sozialdemokratischen Aufbruchssignal zu werden. In Sachsen-Anhalt und Thüringen wird es danach mit Sicherheit nicht besser.

Aber es wäre ungerecht, das Dilemma den Parteichefs anzulasten. Es sei denn, man wollte ihnen vorwerfen, dass auch sie nicht gefunden haben, was andere suchten: Den Markenkern der SPD. So etwas, was früher die Ostpolitik war. Oder die soziale Gerechtigkeit. Themen, die mittlerweile überholt oder Allgemeingut sind. Wenn Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans erfolgreich sein wollten, müssten sie daran arbeiten, die SPD neu zu definieren. Das ist bislang nicht zu erkennen.

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