Sondierungen

SWP-Leitartikel: Die Qual der Wahl

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann und seine Grünen haben ein Luxus-Problem: Mit CDU, SPD und FDP buhlen gleich drei Parteien um ihre Gunst.

25.03.2021

Von ROLAND MUSCHEL

Stuttgart. Die Ökopartei ist nicht mehr allein die stärkste Kraft im Land, sondern für alle sichtbar der Fixstern der baden-württembergischen Parteienlandschaft, an dem sich alle ausrichten.

In der nun beginnenden zweiten Sondierungsrunde könnte Kretschmann die Möchtegern-Juniorpartner nach Belieben gegeneinander ausspielen. Aber in die Verlegenheit kommen die Grünen erst gar nicht, da CDU einerseits und FDP und SPD andererseits bereits vorab widerstreitende Positionen abgeräumt oder zumindest maximale Flexibilität signalisiert haben. Ausweitung der Photovoltaikpflicht auf Wohngebäude? Für die CDU plötzlich kein Problem mehr. Gebührenfreie Kitas? Für die SPD nun auch in Stufen und auf einer langen Zeitachse vorstellbar. Der kürzlich noch als „Totengräber des Standorts“ geschmähte grüne Verkehrsminister Winfried Hermann? Wird von der FDP neuerdings gelobt.

Schon klar, was im Wahlkampf ins Schaufenster gestellt wird, ist die jeweilige Partei pur, nicht das nächste Regierungsprogramm. Zur Bildung einer Koalition benötigt man Kompromisse, sonst geht es nicht. Trotzdem ist die fast schon bedingungslose Bereitschaft zum Mitregieren in der jetzigen Konkurrenzsituation frappierend. Für die nächste Regierung droht das zur Hypothek zu werden. Spätestens wenn die Umfragen für den oder die künftigen Koalitionspartner im Laufe der Legislaturperiode unter das Ergebnis der Landtagswahl fallen, wird die jeweilige Basis kritisch fragen: Ist Mitregieren auf Kosten des eigenen Profils nicht doch ein zu hoher Preis? Auch die Grünen müssen daher aufpassen, dass sie ihre Stärke in der Euphorie des Wahlsiegs nicht voll ausspielen. Partner, die sich aufgrund der aktuell schwachen Verhandlungsposition mit ihren Positionen in einem Koalitionsvertrag nicht angemessen wiederfinden, werden latent unzufrieden sein. Das wäre für das Innenleben einer Regierung auf Dauer problematischer als das ein oder andere inhaltliche Zugeständnis in Koalitionsverhandlungen.

Wo fast alle Inhalte verhandelbar sind, wird das Persönliche entscheidend. Am Ende werden Kretschmann und die Grünen eine Frage für sich beantworten müssen: Wem vertrauen sie mehr, wen halten sie über die fünfjährige Regierungszeit hinweg für verlässlicher: die CDU oder die FDP? Am erklärten Wunschpartner SPD wird es nicht scheitern. Sondern entweder an den Polemiken des FDP-Fraktionschefs Hans-Ulrich Rülke – oder an der unklaren Personallage bei der CDU. Rülke hat sich lange als Grünen-Fresser profiliert, kann aber auf seine bisherige Oppositionsrolle verweisen. Die CDU kann auf ihren Vorsitzenden Thomas Strobl bauen und das Vertrauensverhältnis, das er mit Kretschmann hat. Ob die neue CDU-Fraktion seinen harmonischen Kurs aber stärker unterstützen wird als die alte, gilt als genauso offen wie die grüne Gretchenfrage: nochmal mit den Schwarzen oder diesmal eine Ampel?

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