Corona-Pandemie

SWP-Leitartikel: Bitte kein Impfneid!

Was sagen sich Menschen in diesen Tagen als erstes, wenn Sie sich ein Weilchen nicht gesehen haben? Klar, irgendeine Begrüßungsformel wird schon noch gemurmelt. Aber der nächste Satz ist mit einiger Sicherheit: Na, schon geimpft?

12.05.2021

Von ANDRé BOCHOW

In immer mehr Fällen lautet nun die Antwort: Ja. Ein Drittel aller Deutschen hat eine Erstimpfung, fast jeder Zehnte hat einen vollständigen Impfschutz.

Doch beim Herumfragen im Bekanntenkreis stellt man auch schnell fest: Erstaunlich viele junge Menschen sind schon geimpft worden, während nicht wenige über 70 immer noch auf ihren Termin warten. Nicht alle der Jungen sind Krankenschwestern, Polizisten, Lehrer oder Feuerwehrleute. Und schon macht das Wort der Impfvordrängler die Runde. Mit Beziehungen, falschen Angaben und wer weiß, vielleicht mit Geld, schaffen es manche an Alten oder chronisch Kranken vorbeizuziehen. So die Unterstellung. Von Beweisen für diese Behauptung hört man selten etwas. Gibt es wirklich so viele, die eine Person erfinden, die sie pflegen? Kennt jemand tatsächlich Ärzte, die sich bestechen lassen? Und ist Impfneid wirklich eine Massenerscheinung?

Fast alle im Land fanden es richtig und wichtig, dass zuerst die sehr Alten geschützt wurden. Das hat nicht hundertprozentig geklappt und wurde zu Lasten mancher schwerkranker Jüngerer gelegentlich übertrieben. Aber letztlich waren und sind wir froh, dass die verbleibende Lebensspanne der Großelterngeneration nicht durch ein Virus verkürzt wird.

Diese klare Priorisierung hat sich erledigt. Mit Impfstoffen, die für alle freigegeben werden und mit einer Priorisierungsgruppe 3, zu der etwa 30 Millionen Menschen gehören – nicht nur über 60-Jährige, sondern Wahlhelfer, Anwälte, Journalisten, Lebensmittelverkäufer, Zollmitarbeiter, stark Übergewichtige und viele, viele andere. Im Grunde bleiben Kinder und Jugendliche übrig. Und Studenten. Wenn Letztere nicht Wahlhelfer, pflegende Angehörige oder Minijobber im Supermarkt sind.

Und deswegen wird jetzt nacheinander fast jeder geimpft, der einen Impftermin ergattern konnte. Gerecht geht es dabei nicht zu. Manche haben einen Hausarzt, der impft, andere nicht. Einige sind bei den Hotlines für die Impfzentren durchgedrungen, viele haben das nicht geschafft. Wirklich unfair ist nur, dass es offenbar vom Bundesland abhängt, wie gut das Impfen organisiert wird.

Insgesamt halten sich die Unterschiede zwischen den Bundesländern in überschaubaren Grenzen. Letztlich geht die Immunisierung der Bevölkerung jeden Tag mit Hunderttausenderschritten oder sogar mit Millionenschritten voran. Und deswegen nicken immer mehr bei der Frage, ob sie schon geimpft sind. Frustration bei denen, die noch warten müssen, gibt es natürlich. Letztlich ist aber mit jeder Impfung allen geholfen. Wirkliche Impfgerechtigkeit werden wir erleben, wenn wir die berühmte Herdenimmunisierung erreicht haben. Impfneid oder Impfvordrängelei herbeizureden ist in dieser Situation einfach nur fies.

leitartikel@swp.de

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Erstellt:
12.05.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 14sec
zuletzt aktualisiert: 12.05.2021, 06:00 Uhr

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