Tübinger Anwalt bekämpft den Waffenhandel

Rüstungsexporte: „Das ist Beihilfe zum Mord“

Der Tübinger Anwalt Holger Rothbauer legt sich seit vielen Jahren mit verschiedenen Bundesregierungen und deutschen Waffenherstellern an.

09.02.2018

Von Volker Rekittke

Stellte Strafanzeige gegen den Oberndorfer Waffenhersteller Heckler und Koch: der Tübinger Rechtsanwalt Holger Rothbauer. Bild: Faden

Stellte Strafanzeige gegen den Oberndorfer Waffenhersteller Heckler und Koch: der Tübinger Rechtsanwalt Holger Rothbauer. Bild: Faden

Es gibt so Tage, da fragt sich Holger Rothbauer, wie lange er das noch machen will. Seit 34 Jahren beschäftigt sich der Tübinger Rechtsanwalt mit dem Thema Rüstungsexporte. Zunächst als junger Katholik, als Juso-Mitglied und Friedensbewegter in der Kampagne „Produzieren für das Leben, Rüstungsexporte stoppen“. Das war in den 1980ern. Längst gilt Rothbauer als der versierteste juristische Experte für deutsche Waffenexporte bundesweit. Er legte und legt sich dabei immer wieder mit den verschiedenen Bundesregierungen an.

1993 stellte er Strafanzeige wegen „Beihilfe zum Völkermord“, schon damals wegen deutschen Panzern und Gewehren, die die Türkei gegen die Kurden im eigenen Land einsetzte. Vor einigen Jahren zwang Rothbauer dann seinen Genossen Sigmar Gabriel – der war da noch Wirtschaftsminister – vor den Petitionsausschuss. Und er stellte Strafanzeige gegen den Oberndorfer Waffenhersteller Heckler und Koch wegen illegaler Lieferungen des G36-Sturmgewehrs nach Mexiko.

Und dann hört Rothbauer im Jahr 2018 solche Nachrichten: Unter Schwarz-Rot wurden mehr Waffenexporte genehmigt als unter Schwarz-Gelb. Ausgerechnet unter einem SPD-Wirtschaftsminister Gabriel, der mittlerweile Außenminister ist, bekamen die Saudis massenhaft deutsches Kriegsgerät für ihren brutalen Krieg im Jemen geliefert. „Das ist Beihilfe zum Mord“, sagt Rothbauer, der auch Flüchtlinge im Asylverfahren vertritt.

In deren Geschichten stößt er immer wieder darauf, was deutsche Waffen in so ziemlich allen Kriegen rund um den Globus anrichten. Eines Tages saß er in seiner Kanzlei auf dem Tübinger Österberg einer jungen Syrerin gegenüber. Die 16-Jährige hatte es ohne ihre Eltern übers Mittelmeer nach Deutschland geschafft. „Ihr Gesicht war voller Flecken, Verbrennungen – die Spuren eines Giftgasangriffs.“ Bis 2011, so Rothbauer, genehmigte die Bundesregierung die Ausfuhr von den beiden chemischen Bestandteilen nach Syrien, aus denen die Chemiewaffe Sarin besteht: „Assads Sarin-Gas stammt aus Deutschland.“ In solchen Momenten weiß Holger Rothbauer wieder, warum er weitermacht.

Immer wieder geht es dabei um Syrien. Und um die Türkei. Seit dem 19. Januar greifen türkische Truppen und islamistische Milizen den nordsyrisch-kurdischen Kanton Afrin an. Dabei setzt der Nato-Verbündete jede Menge Rüstungsmaterial „Made in Germany“ ein. Für Rothbauer ist das „ein glatter Völkerrechtsbruch: Es gibt keine Rechtsgrundlage für das, was die Türkei gerade in Syrien macht.“ Weder sei das Land angegriffen worden, noch habe der UN-Sicherheitsrat ein Mandat erteilt.

Und Deutschland? „Wir haben eine klare Vorgabe des Grundgesetzes: Wir liefern nicht an Diktaturen, wir liefern nicht in Spannungsgebiete“, sagt der Jurist. Die Realität sieht anders aus. Der Bundessicherheitsrat genehmigte laut Rothbauer 2017 Waffenexporte im Wert von 3,8 Milliarden Euro an Drittstaaten, die nicht in der Nato oder EU sind – der höchste Wert in der Geschichte der Bundesrepublik. Unter den Top-Ten-Empfängern waren Diktaturen oder kriegsführende Länder wie Ägypten, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate.

Die Genehmigungspraxis der Bundesregierung, vor allem über den Bundessicherheitsrat, ist für Rothbauer „ein permanenter Verfassungsbruch“. Kein Bürger, kein Parlamentarier, kein Gericht kontrolliere das geheim tagende Gremium, niemand könne deshalb die dort erteilten Exportgenehmigungen infrage stellen. „Das hat mit einem demokratischen Rechtsstaat nichts zu tun.“

Und was hält er von den Milan-Lieferungen der Bundeswehr für die kurdischen Peschmerga im Nordirak? „Komplett rechtswidrig“, wettert Rothbauer. Der Empfänger sei hier nicht einmal ein Staat. Und von wegen Bundessicherheitsrat: „Das ist bei Frau Merkel in kleiner Ministerrunde beim Abendessen entschieden worden.“ Vom Bundestag redet ohnehin keiner mehr. Und die Kurden, die mit Hilfe der Panzerabwehrwaffen schließlich den IS bekämpften? Auch das lässt der Tübinger Anwalt nicht gelten. Wer weiß denn schon, ob in Syrien nicht gerade deutsche Milan-Raketen gegen deutsche Leopardpanzer eingesetzt werden? Rothbauer bleibt dabei: „Beim Thema Rüstungsexporte steht unsere Demokratie auf dem Prüfstand.“

Kampagne für ein Verbot deutscher Rüstungsexporte

Nach den USA, Russland, China und Frankreich ist Deutschland weltweit der fünftgrößte Großwaffenexporteur. Beim Handel mit Kleinwaffen – darunter fallen auch Sturmgewehre wie das G 36 von Heckler und Koch – steht die Bundesrepublik hinter den USA und Italien an dritter Stelle.

Holger Rothbauer ist Mitinitiator der von mehr als hundert Organisationen der Friedens- und Entwicklungszusammenarbeit, von Kirchen und Gewerkschaften getragenen „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“ Seit 2011 arbeitet die Kampagne für ein Verbot deutscher Rüstungsexporte. Die machen zwar laut Rothbauer nicht einmal 1 Prozent der deutschen Gesamtausfuhren aus, sodass eine Umwandlung in zivile Produktion gut möglich wäre. Allerdings betreibe die Bundesregierung mit Waffenlieferungen etwa nach Saudi-Arabien „Außenpolitik mit Waffen“.

Internet: www.aufschrei-waffenhandel.de

Zum Artikel

Erstellt:
09.02.2018, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 15sec
zuletzt aktualisiert: 09.02.2018, 01:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Sie möchten diesen Inhalt nutzen? Bitte beachten Sie unsere Hinweise zur Lizenzierung.

Push aufs Handy

Die wichtigsten Nachrichten direkt aufs Smartphone: Installieren Sie die Tagblatt-App für iOS oder für Android und erhalten Sie Push-Meldungen über die wichtigsten Ereignisse und interessantesten Themen aus der Region Tübingen.

Newsletter


In Ihrem Benutzerprofil können Sie Ihre abonnierten Newsletter verwalten. Dazu müssen Sie jedoch registriert und angemeldet sein. Für alle Tagblatt-Newsletter können Sie sich aber bei tagblatt.de/newsletter auch ohne Registrierung anmelden.
Das Tagblatt in den Sozialen Netzen
    
Faceboook      Instagram      Twitter      Facebook Sport
Newsletter Recht und Unrecht
Sie interessieren sich für Berichte aus den Gerichten, für die Arbeit der Ermittler und dafür, was erlaubt und was verboten ist? Dann abonnieren Sie gratis unseren Newsletter Recht und Unrecht!