Corona

Riskanter Dienst am Menschen

Impfpflicht für Mitarbeiter in Gesundheits- und Pflegeberufen? Was der Hauptgeschäftsführer der Evangelischen Heimstiftung fordert, stößt nicht überall auf Zustimmung. Doch das Risiko bleibt.

16.09.2021

Von Elisabeth Zoll

Wer als Familienhelfer in fremden Familien im Einsatz ist, ist einem höheren Infektionsrisiko ausgesetzt. Foto: picture alliance / Marcel Kusch/dpa

Wer als Familienhelfer in fremden Familien im Einsatz ist, ist einem höheren Infektionsrisiko ausgesetzt. Foto: picture alliance / Marcel Kusch/dpa

Montagmorgen, 7 Uhr. Familienhelferin Sabine Metz (Name geändert) fährt zu einem Einsatz. Seit Jahren arbeitet sie in Familien, die in Not geraten sind. Dieses Mal ist die Mutter schwer erkrankt und kann sich nicht mehr um die drei kleinen Kinder kümmern. Diese müssen versorgt, das größere zur Schule gebracht werden. Danach heißt es für Sabine Metz Waschen, Kochen und nach der Kranken schauen, die zu schwach zum Aufstehen ist.

Sabine Metz kennt ihre Aufgaben. Was sie nicht einschätzen kann, ist das Ansteckungsrisiko, dem sie sich aussetzt – und welche Virenlast sie möglicherweise zu ihrem nächsten Arbeitseinsatz trägt. Umgekehrt weiß auch die betreute Familie nicht, ob ihre Helferin geimpft ist oder nicht.

Vor wenigen Tagen erst hat der Bundesrat den Weg frei gemacht, damit Arbeitgeber in sozialen Einrichtungen Schulen, Kindergärten und Pflegeheimen den Impfstatus ihrer Mitarbeiter abfragen können. Strukturiert werde das bei der Diakonie Württemberg im Moment noch nicht gemacht, sagt Claudia Mann, Pressesprecherin der Diakonie Württemberg. „Beim Impfen setzen wir bei unseren Mitarbeitern auf Einsicht und Freiwilligkeit.“

Frage der Professionalität

Der Verband ist neben der Caritas und dem Paritätischen einer der großen Anbieter sozialer Dienstleistungen, nicht nur im Bereich der Pflege. Auch in der Obdachlosenarbeit, der Frauennothilfe, der Behindertenarbeit ist der Verband aktiv. Und überall dort stellt sich jetzt die Frage: Geimpft oder nicht? Und soll es eine Pflicht zur Impfung geben.

Der Hauptgeschäftsführer der Evangelischen Heimstiftung, Bernhard Schneider, ist nach einem Impfdurchbruch in einem Tübinger Pflegeheim mit der Forderung nach einer Impfpflicht für Pflegekräfte vorgeprescht. Claudia Mann sieht das kritisch: „Wir wollen eine Polarisierung vermeiden.“

Auch beim Caritasverband der Diözese Rottenburg-Stuttgart lehnt man eine Impfpflicht ab. „Insbesondere für Mitarbeitende, die mit besonders vulnerablen Menschen arbeiten, ist es eine Frage von Professionalität, sich mit dem Thema Impfung auseinanderzusetzen“, betont dort Pressesprecherin Eva-Maria Bolay. Doch eine Pflicht zur Impfung gibt es nicht. Statt darüber zu reden, müsse eine Kultur geschaffen werden, in der Bedenken und Fragen ernst genommen und verlässliche Informationen bereitgestellt werden.

Schon jetzt ist die Situation in den Teams mit geimpften und ungeimpften Mitarbeitern nicht immer spannungsfrei. Vor allem unter jungen Frauen mit und ohne Migrationshintergrund gibt es Vorbehalte gegen eine Impfung. Unter ihnen kursiert das Gerücht, die Vakzine wirkten sich auf die Fruchtbarkeit von Frauen aus – allen wissenschaftlichen Studien und Empfehlungen der Ständigen Impfkommission zum Trotz. Das lässt manche Frauen zögern.

Doch auf den Einsatz ungeimpfter Mitarbeiter verzichten, kann kein Sozialverband. Weder in der Pflege noch in der Kinderbetreuung. Diese Mitarbeiter seien genauso im Einsatz wie geimpfte und genesene, erklärt Bolay.

Der Gesetzgeber legt inzwischen fest, dass der Dienstgeber in sensiblen Bereichen wie Krankenhäuser, Pflegeheimen oder Einrichtungen, in denen besonders verletzliche Menschen untergebracht und betreut werden, der Impfstatus der Mitarbeiter erfragen muss. Dort ist das Infektionsrisiko aufgrund der räumlichen Nähe vieler Menschen höher. Genauere Angaben liegen dem Caritasverband in Stuttgart jedoch nicht vor.

Auch der Impfstatus der Klienten ist kein Richtwert. „Wir können kein Hilfegesuch ablehnen, nur weil jemand nicht geimpft ist“, sagt Claudia Mann. Besonders sensibel sei die Arbeit mit Wohnungslosen. Sie waren bei Impfangeboten zunächst nicht priorisiert. Inzwischen bieten mobile Teams Obdachlosen vor Ort Impfungen an.

Allerdings räumt Mann ein: „In diesem Bereich ist es schwierig herauszufinden, ob jemand geimpft ist oder nicht.“ Deshalb gelten strenge Hygiene- und Distanzauflagen. Doch die sind in der Behindertenarbeit oft nicht durchzusetzen. „Viele unserer Behinderten verstehen nicht, warum sie Mitarbeitern nicht um den Hals fallen dürfen.“

Wenig abgewinnen kann sie den Überlegungen, dass Ungeimpfte keinen Anspruch auf Entschädigung bei einer angeordneten Quarantäne haben sollen. Diese Diskussion führe in die Irre. Oft könne ja nicht nachvollzogen werden, wo sich der Beschäftigte angesteckt habe: in seiner Freizeit oder zum Beispiel bei einem Arbeitseinsatz in einer Familie.

Das Land Baden-Württemberg hat angekündigt, dass ab jetzt nicht-geimpfte Personen damit rechnen müssen, dass Anträge auf Entschädigungen abgelehnt werden. Eine pauschale Vorgehensweise hält auch die Caritas für unangebracht. Es gelte jeden Einzelfall zu betrachten und abzuwägen. Doch Eva-Maria Bolay hält auch fest: „Fürsorge ist keine Einbahnstraße – auch der betroffene Mitarbeiter ist angehalten eine Haltung zur Impfung stets neu zu reflektieren und zu überprüfen.“

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Erstellt:
16.09.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 11sec
zuletzt aktualisiert: 16.09.2021, 06:00 Uhr

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