Reparieren geht nicht

Alzheimer früh erkennen: Neuer Test des Tübinger Hertie-Instituts

Tübinger Hirnforscher setzen auf Früherkennung und Prävention. So hofft man, Alzheimer und andere Erkrankungen besser behandeln zu können.

07.02.2019

Von Angelika Bachmann

Alzheimer-Forschung am Hertie-Institut
04:08 min

Schon Jahre bevor ein Patient irgendwelche Symptome zeigt, bevor er immer häufiger vergisst, was er gerade eben gemacht oder gesagt hat, bevor er zunehmend ruhe- und orientierungslos wird, hat die Alzheimer-Erkrankung schon sein Gehirn befallen und verändert. Noch während er sich gesund wähnt, lagern sich Plaques im Gehirn ab, Nervenzellen werden zerstört und abgebaut.

Ein Zuckerwürfel im Bodensee

Es gibt noch keine Medikamente, die eine ausgeprägte Alzheimer-Erkrankung aufhalten können. Forscher und Ärzte haben jedoch die Hoffnung und bereits Hinweise, dass die Medikamente, würden sie in einem sehr früheren Stadium angewandt, besser wirken. Die kürzlich veröffentlichten Forschungsergebnisse des Tübinger Zellbiologen und Alzheimer-Experten Prof. Mathias Jucker, der mit seinem Team einen Bluttest zur Früherkennung von Alzheimer entwickelt hat (wir berichteten), feierte das Tübinger Hertie-Institut für klinische Hirnforschung deshalb als einen Meilenstein. Baden-Württembergs Wissenschaftsministerin Theresia Bauer ließ sich am Mittwoch bei einer Führung durch die Labore des Hertie-Instituts erklären, wie dieser Test funktioniert und wie er künftig eingesetzt wird.

Wissenschaftsministerin Theresia Bauer hält ein menschliches Gehirn in der Hand: Alzheimer, Parkinson und andere Erkrankungen, die die Zellen im Gehirn zerstören, werden am Tübinger Hertie-Institut für klinische Hirnforschung erforscht. Rechts im Bild: Mathias Jucker, dessen Team einen Bluttest entwickelte, mit dem sich Alzheimer in einem sehr frühen Stadium diagnostizieren lässt. Bild: Angelika Bachmann

Wissenschaftsministerin Theresia Bauer hält ein menschliches Gehirn in der Hand: Alzheimer, Parkinson und andere Erkrankungen, die die Zellen im Gehirn zerstören, werden am Tübinger Hertie-Institut für klinische Hirnforschung erforscht. Rechts im Bild: Mathias Jucker, dessen Team einen Bluttest entwickelte, mit dem sich Alzheimer in einem sehr frühen Stadium diagnostizieren lässt. Bild: Angelika Bachmann

Der Test misst Neurofilamente im Blut von Patienten, erklärte Jucker. Diese Proteine entstehen, wenn Nervenzellen im Gehirn zerstört werden. Stellt man bei Folgeuntersuchungen fest, dass der Wert stark ansteigt, weiß man, dass die Zerstörung der Gehirnzellen rapide zunimmt. Die dafür benötigten Messinstrumente sind im Übrigen so sensitiv, als würde man Zuckermoleküle im Bodensee nachweisen, wenn man darin nur einen Zuckerwürfel versenkt.

Mit diesem Test wird machbar, was das Hertie-Institut künftig zu seinem Schwerpunkt machen will: Frühdiagnosen ermöglichen, personalisierte Therapien und Prävention. Bei neurodegenerativen Erkrankungen dürfe man nicht darauf setzen, den Schaden „zu reparieren. Wir müssen erreichen, dass der Schaden nicht entsteht“, sagte der Vorstandsvorsitzende des Hertie-Instituts, Prof. Thomas Gasser.

Jucker zeigte sich zuversichtlich, dass demnächst auch Bluttests für die Ablagerungen von Plaques bei Alzheimer entwickelt werden. Viele Forscher-Teams arbeiteten an solchen Verfahren.

Eine Dekade für das Gehirn

An der Entwicklung des Alzheimer-Bluttests war ein Netzwerk an Wissenschaftlern und Forschungsinstituten beteiligt – in Tübingen neben dem Hertie-Institut auch das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) und Forscher vom Uni-Klinikum. Dieses Netzwerk in Baden-Württemberg auszubauen, eine „neue Allianz“ für eine „Dekade für das Gehirn“ zu formen, ist ein Anliegen des Dekans der Medizinischen Fakultät, Prof. Ingo Autenrieth. Dadurch könne für Patienten mit Alzheimer, Parkinson, Epilepsien und anderen Erkrankungen des Gehirns „noch mehr erreicht werden“. Für die weitere Finanzierung des Hertie-Instituts in Tübingen brachte Ministerin Theresia Bauer zwar keine definitive Zusage mit, dass das Land die grundständige Finanzierung übernehmen werde.

Derzeit gebe es etliche parallele Verhandlungen, etwa über den Hochschulfinanzierungsvertrag oder mit der Stiftung über das weitere Konzept. Als positives Signal werteten jedoch alle die Wertschätzung, mit der die Wissenschaftsministerin Theresia Bauer nicht nur die jüngst publizierte Arbeit beschrieb: „Da geht einem das Herz auf.“ Und es werde einem klar, warum man viel öffentliches Geld in den Aufbau solcher Forschungsinstitute investiere. „Davon profitieren alle Menschen. Und das geht nicht ohne langen Atem.“

Verhandlungen über Finanzen laufen noch

Das Hertie-Institut für klinische Hirnforschung wurde 2001 gegründet mit dem Ziel Grundlagenforschung eng mit der klinischen Versorgung zu verzahnen und Forschungsergebnisse so schnell zu den Patienten zu bringen. Die Hertie-Stiftung hatte angekündigt, sich nach 20 Jahren aus der Finanzierung zurückziehen zu wollen. Seit 2015 gibt es Verhandlungen zwischen Stiftung, Universität und Land. Mit der Weiterentwicklung des Forschungskonzepts hin zu Prävention und personalisierter Medizin hat die Stiftung jetzt signalisiert, das Institut für weitere zehn Jahre mit 3 Millionen Euro jährlich zu finanzieren, wenn das Land seinen bisherigen Beitrag zur Grundfinanzierung (ebenfalls 3 Millionen Euro jährlich) beibehält. Zusätzlich werden jährlich mehrere Millionen Euro an Drittmitteln eingeworben.

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Erstellt:
07.02.2019, 21:30 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 52sec
zuletzt aktualisiert: 07.02.2019, 21:30 Uhr

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