Dußlingen · Kläranlage

Taucher: Rein in die warme, dunkle Brühe

Dorthin, wo alle ihren Dreck abladen, gehen Industrietaucher und räumen auf. Gerade sind sie im Dußlinger Klärwerk im Einsatz.

15.06.2019

Von Mario Beißwenger

Einer der Industrietaucher, die den Faulturm 1 im Dußlinger Klärwerk reinigen, hält eine „Verzopfung“ in der Hand. Solche Müllansammlung blockieren die Umwälzung. Die Zusammenballungen holen die Taucher aus bis zu 25 Meter Tiefe hoch. Eine Bildergalerie zum Thema steht unter tagblatt.de/Bilder.Bild: Klaus Franke

Einer der Industrietaucher, die den Faulturm 1 im Dußlinger Klärwerk reinigen, hält eine „Verzopfung“ in der Hand. Solche Müllansammlung blockieren die Umwälzung. Die Zusammenballungen holen die Taucher aus bis zu 25 Meter Tiefe hoch. Eine Bildergalerie zum Thema steht unter tagblatt.de/Bilder.Bild: Klaus Franke

In eine schwarze muffige Brühe steigt Markus Niederkofler gleich hinein. 25 Meter tief ist der eiförmige Faulturm der Dußlinger Kläranlage, voll gefüllt mit schlammigem Dreckwasser. Niederkoflers Aufgabe: ganz unten aufräumen. All der Müll, der im Abwasserkanal landet, kommt irgendwann im Klärwerk an der B27 an. Früher waren es vor allem Haare, die in der Anlage zu „Verzopfungen“ geführt haben. Heute sind es Feuchttücher – oder die noch stabileren, modernen Einweg-Staubtücher.

Die Männer einer österreichischen Spezialfirma schauen gelassen in die Brühe. Ja, das stimme schon: Einmal eingetaucht, arbeiten sie in völliger Dunkelheit. „Das ist wie eine Weltraumfahrt“, sagt Niederkofler vor dem Einsatz. Dann lassen ihn die Kollegen in seiner 100 Kilo schweren Montur am Stahlseil hinab in die Schlammhöhle. Der Tauchanzug wird mit Druckluft versorgt, eins der bunten Kabel ist für die Tiefenmessung, eins für die Kommunikation und eins könnte für Licht sorgen – wenn das nur in dieser Flüssigkeit, die zwei, drei Prozent Feststoffe enthält, überhaupt durchdringen würde.

Saugen bis zum Schreibtisch

Stattdessen arbeiten die Taucher nur nach Gefühl. Sie kennen den Bauplan des Faulturms und können sich am so genannten Mittelbauwerk orientieren. In diesem Rohr sollte eigentlich die ganze Brühe nach oben steigen, angesogen von einem Propeller. Die ständige Umwälzung sorgt dafür, dass sich die Mikroben wohl fühlen und die Schlammbestandteile schneller zu brennbarem Klärgas umsetzen können.

Das mit dem Durchrühren klappt aber nicht, wenn unten die Verzopfungen die Leitung verlegen. Also klemmen sich die Taucher ein großes Saugrohr zwischen die Beine und arbeiten im Dunkeln mit Kraulbewegungen die Wust-Stücke in die Absaugöffnung. „Bis dann mal eine Kiste kommt – oder ein Schreibtisch.“ So nennt Anton Ulrich die großen Müllansammlungen, die so kompakt sind, dass sie kein Sauger nach oben heben kann. Die Brocken werden eigens hochgehievt.

Ulrich hat die Firma gegründet, die Tauchservice für viele Branchen anbietet: Bergungsarbeiten, Betonieren, Unterwasserschweißen, Kontrolle von Stauwerken. Er war selbst schon in der Brühe. Er weiß, dass Industrietaucher nicht heikel sein dürfen und hin wieder was abbekommen von dem Schlamm: „Es kann immer mal eine Manschette platzen. Jeder hat von uns schon gebadet.“

Die größere Belastung komme aber durch die Wärme. Bei konstant 37 Grad bleiben die Taucher nur eine drei Viertel Stunden unten. Für den Tauchgang müssen sie sich selbst schon mit dem Essen vorbereiten: „Mit zwei Dönern im Magen zerreißt es dich da unten“, erklärt der Firmeninhaber.

Wenn die Bedingungen schon nicht komfortabel sind, muss zumindest die Sicherheit stimmen. Die Versorgung des Tauchers ist doppelt gesichert, Rettungspläne ausgearbeitet. „Zur Not kann ein Mann da stundenlang unten bleiben.“ Wenn er dann aber wieder hochkommt, muss er wie bei einem tiefen Tauchgang den langsamen Dekompressionsprozess durchlaufen. In der Klärbrühe herrscht in 25 Meter Tiefe ein deutlich höherer Druck als in klarem Wasser.

Wer sich schon beim Anblick der Stinkebrühe ekelt, wird wenig Verständnis für die Begeisterung von Niederkofler haben: Er steigt gar nicht so ungern in die schwarze Masse. „Bei Kontrollen in Gebirgsstauseen frieren dir fast die Hände ab.“ Im Faulturm ist es schön warm. Ein weiterer Vorteil: „Es ist da drin ganz ruhig. Man ist immer am Aufpassen – aber man hat da auch wirklich Zeit für sich.“

Warum Taucher am Aufräumen sind

Den Faulturm leeren, und dann grundreinigen, das ginge auch, erklärt Michael Landenberger, Geschäftsführer des Zweckverbandes, der das Klärwerk fürs Steinlach- und Wiesaztal betreibt. Der nördliche Faulturm 2 wurde so gereinigt.

Viel mehr Zeit ist dafür notwendig. Die Faultürme müssen sich langsam entleeren und abkühlen, sonst bekommt der Betonmantel Risse. Dann dauert die Reinigungsarbeit einen guten Monat. Mit Tauchern reichen etwa fünf Arbeitstage.

Putzen unter Füllung erhält die Mikrobiologie. Die Mikroben erzeugen in den Faultürmen jeden Tag an die 2000 Kubikmeter Klärgas. Das wird im Blockheizkraftwerk verstromt. Mit jedem Tag Stillstand muss das Klärwerk mehr Energie zukaufen.