Landwirtschaft

Schweinezucht: „Reihenweise Pleiten“

50 Cent Verlust machen Schweinebauern derzeit pro Kilo. Der Experte Albert Hortmann-Scholten fordert eine Ausstiegshilfe.

21.09.2021

Von DOMINIK GUGGEMOS

Ein Kilogramm Schweinefleisch kostet derzeit rund 1,25 Euro. Kostendeckend wären 1,80 Euro. Foto: Marijan Murat/dpa

Ein Kilogramm Schweinefleisch kostet derzeit rund 1,25 Euro. Kostendeckend wären 1,80 Euro. Foto: Marijan Murat/dpa

Berlin. Jedes Kilogramm Schwein ist derzeit ein massives Verlustgeschäft für die Erzeuger. Albert Hortmann-Scholten, Leiter des Fachbereichs Markt bei der Landwirtschaftskammer Niedersachsen, fordert eine nationale Ausstiegshilfe für Schweinebauern.

Ende 2019 lag der Schweinepreis noch bei knapp 2 Euro je Kilo. Seitdem ist er im Sinkflug, derzeit bei rund 1,25 Euro. Woran liegt das?

Albert Hortmann-Scholten: Die Entwicklung begann Anfang 2020 mit der Corona-Krise, wobei die Wirkung auf die Preise zeitversetzt einsetzte. Auf geschlossene Restaurants und Kantinen im Lockdown folgten Stilllegungen von Schlachthöfen im Sommer wegen vieler Corona-Fälle unter den Mitarbeitern. Ab diesem Zeitpunkt sind die Preise unter enormen Druck geraten. Eine Million Schweine konnten nur mit großem Zeitverzug geschlachtet werden.

Vor einem Jahr brach dann noch die Afrikanische Schweinepest (ASP) aus.

Richtig, wobei die Corona-Effekte bis zum heutigen Tag maßgeblicher für den Preissturz sind als der ASP-Ausbruch, durch den Exporte nach Asien von einem auf den anderen Tag nicht mehr abgesetzt werden konnten. Und in Europa haben Pfötchen, Ohren und Schnauzen nur einen sehr geringen Marktwert, während die Chinesen voll darauf abfahren.

Halten Sie Chinas Importstopp für angemessen?

Nein, das sind protektionistische Maßnahmen. In China hat sich die ASP ab 2018 flächendeckend verbreitet. Dass man das Virus nicht aus Deutschland reimportieren will, ist an den Haaren herbeigezogen. Die japanische Reaktion kann ich hingegen nachvollziehen, denn die konnten einen ASP-Ausbruch bisher verhindern.

Von den Schweinebauern heißt es, dass ein Preis von 1,80 Euro zur Kostendeckung benötigt werde. Über 50 Cent Verlust pro Kilogramm klingt dramatisch.

In vielen ostdeutschen Betrieben sind es sogar 70 Cent, weil die ihre Arbeitskräfte bezahlen müssen. Im Westen leben die Familienbetriebe von Rücklagen oder Eigenkapital, damit sie ihre Lebenshaltungskosten decken können. Die Branche befindet sich in einer Preis-Kosten-Falle. Die Preise sinken, die Kosten sind aber um 30 Prozent gestiegen – hauptsächlich für Futtergetreide und Energie.

Was wird das für Folgen haben?

Wenn Ferkel weiterhin nur 20 Euro kosten und gemästete Schweine geschlachtet 130 Euro einbringen, dann werden reihenweise Betriebe pleitegehen – vor allem diejenigen, keine eigenen Flächen besitzen und zupachten müssen.

Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) beruft sich darauf, dass ein kurzfristiges nationales Hilfsprogramm nicht mit EU-Recht vereinbar sei. Was könnte die Politik stattdessen tun, um den Landwirten zu helfen?

Wir haben zu viel Ware am Markt, daran kann die Politik erst mal nichts ändern. Was wir brauchen, ist eine nationale Ausstiegshilfe, die Betriebsaufgaben sozial flankiert. Das wirkt aber auch erst langfristig. Kurzfristig könnte eine Stundung der Steuer nützlich sein. Und Verhandlungen mit China, um deren Markt wieder zu öffnen.

In den Niederlanden gibt es eine Art Abwrackprämie für Schweineställe.

Aus dortiger Sicht eine sehr sinnvolle Maßnahme, weil die Konzentration in der Tierhaltung noch größer ist. Die Branche muss sich unter anderem aus Klimaschutzgründen anpassen, das ist vergleichbar mit dem Kohle-Ausstieg. Den Wandel in der Tierhaltung muss man politisch flankieren.

Wenn ein Schwein weniger wert ist, könnte man annehmen, dass weniger gezüchtet wird. Führt die Preisentwicklung zu mehr Tierwohl?

Tierwohl bedeutet: mehr Platz im Stall, Beschäftigungsmaterial wie Stroh, Auslauf, frische Luft. Das alles verursacht aber auch deutlich höhere Kosten und viel mehr Arbeitsaufwand für die Landwirte. Die Verbraucher müssen für all das deutlich mehr Geld ausgeben – und sich das nicht nur in Umfragen wünschen.

Derzeit wird der Markt mit Schweinefleisch aus dem EU-Ausland überschwemmt.

Das ist für die Weiterentwicklung des Tierwohls ganz schlecht, denn Deutschland geht mit seinen Tierschutzstandards weit über das EU-Niveau heraus. Dort sind 0,6 Quadratmeter Platz pro Mastschwein vorgeschrieben. In Deutschland sind es 0,75 Quadratmeter für Jungschweine und ein Quadratmeter für ausgewachsene Schweine.

Albert Hortmann-Scholten. Foto: privat

Albert Hortmann-Scholten. Foto: privat

Zum Artikel

Erstellt:
21.09.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 52sec
zuletzt aktualisiert: 21.09.2021, 06:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Sie möchten diesen Inhalt nutzen? Bitte beachten Sie unsere Hinweise zur Lizenzierung.

Push aufs Handy

Die wichtigsten Nachrichten direkt aufs Smartphone: Installieren Sie die Tagblatt-App für iOS oder für Android und erhalten Sie Push-Meldungen über die wichtigsten Ereignisse und interessantesten Themen aus der Region Tübingen.

Newsletter


In Ihrem Benutzerprofil können Sie Ihre abonnierten Newsletter verwalten. Dazu müssen Sie jedoch registriert und angemeldet sein. Für alle Tagblatt-Newsletter können Sie sich aber bei tagblatt.de/newsletter auch ohne Registrierung anmelden.
Das Tagblatt in den Sozialen Netzen
    
Faceboook      Instagram      Twitter      Facebook Sport
Newsletter Wirtschaft: Macher, Moneten, Mittelstand
Branchen, Business und Personen: Sie interessieren sich für Themen aus der regionalen Wirtschaft? Dann bestellen Sie unseren Newsletter Macher, Moneten, Mittelstand!