Reutlingen

Gesetzesänderung für Notfallsanitäter: Raus aus der Grauzone

Notfallsanitäter hatten am Einsatzort bis zum Eintreffen des Notarztes kaum Handlungsbefugnisse, um Hilfe zu leisten. Das ändert sich nun.

27.02.2021

Von Lena Rehm

Oft ist der Rettungswagen vor dem Notarzt am Einsatzort. Foto: Foto: Benjamin Nolte/dpa

Oft ist der Rettungswagen vor dem Notarzt am Einsatzort. Foto: Foto: Benjamin Nolte/dpa

Wird ein Notruf abgesetzt, ist meist der Rettungswagen als erstes vor Ort. Jedoch hatten die Sanitäter keine Befugnis, in lebensbedrohlichen Situationen entsprechend handeln zu können. Erst der Notarzt, der meist später eintrifft, konnte die nötigen Maßnahmen einleiten. Das ändert sich jetzt durch die Novellierung des Notfallsanitätergesetzes.

Wegen der Gesetzesänderung wird den Notfallsanitätern künftig „im Einsatz bis zum Eintreffen eines Arztes die eigenverantwortliche Durchführung heilkundlicher Maßnahmen erlaubt, sofern sie diese in der Ausbildung erlernt haben und sie erforderlich sind, um Lebensgefahr oder wesentliche Folgeschäden für den Patienten abzuwenden“, teilt der Bundestag mit. Nach dem Bundestag hat auch der Bundesrat der Gesetzesänderung zugestimmt.

„Mit dieser Regelung honorieren wir die tagtägliche medizinische Arbeit der Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter“, sagt Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl. „Dafür haben wir uns schon lange eingesetzt, jetzt wird es Gesetz.“

Zum Wohle des Patienten

Für Udo Bangerter, Pressesprecher des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) Baden-Württemberg, ist die Gesetzesänderung eine Abrundung und eine Komplettierung des Berufsbildes. „Sie haben jetzt die rechtliche Handlungssicherheit, das anzuwenden, was sie gelernt haben, zum Wohle des Patienten.“ Die Gesetzesänderung sei zudem sehr viel besser als ursprünglich geplant.

Die 2014 reformierte Ausbildung der Notfallsanitäter sei bereits auf weiterführende heilkundliche sowie medizinisch invasive Kompetenzen ausgerichtet und wurde zudem von zwei auf drei Jahre verlängert, sagt Bangerter. „Die Lücke bestand bisher in der Legitimierung der tatsächlichen Handlung. Diese Lücke wurde nun geschlossen.

Der jetzt beschrittene Weg sei sehr fortschrittlich, wenn auch überfällig, sagt Bangerter. „So sehr wir die Einrichtung des Berufsbildes Notfallsanitäter begrüßt haben, haben wir auch darauf gedrängt, dass eben diese Lücke zwischen Ausbildung und Handlungssicherheit geschlossen wird. Das war von Anfang an ein Kritikpunkt.“

Jonas Schöfer hat seine Ausbildung 2015 begonnen und arbeitet inzwischen seit drei Jahren als Notfallsanitäter beim DRK in Heidenheim. Auch er hält die Änderung des Gesetzes für sehr positiv.

Dennoch sei es lediglich ein Schritt in die richtige Richtung, da sich die tägliche Arbeit dadurch kaum ändere. „Wir haben bisher immer alles getan, um das Leben des Patienten zu erhalten, und das machen wir auch weiterhin. Wir kommen jetzt nur aus dieser rechtlichen Grauzone heraus.“

Bisher sind lebensrettende heilkundliche Maßnahmen der Notfallsanitäter, die laut Heilpraktikergesetz nur Ärzten mit Approbation erlaubt sind, unter dem rechtfertigenden Notstand nach Paragraf 34 des Strafgesetzbuches gelaufen. „Man darf ein Rechtsgut verletzen, um ein höheres Rechtsgut zu schützen“, sagt Schöfer. „In diesem Fall ist das Patientenleben das höhere Rechtsgut und die Straftat, die wir begehen, wurde toleriert. Was bisher eine rechtliche Grauzone war, ist jetzt gesetzlich definiert und im Notfallsanitätergesetz festgelegt.“

Fälle, in denen er tatsächlich zu lebensbedrohlichen Einsätzen gerufen werde, seien eher selten, sagt Schöfer. Wesentlich häufiger kämen hingegen Situationen vor, in denen er gerne helfen würde und das auch könnte, aber nicht darf. Denn aufgrund der Gesetzesänderung darf er nur einschreiten, um Lebensgefahr oder wesentliche Folgeschäden der Patienten abzuwenden.

Wird der Notfallsanitäter beispielsweise zu jemandem mit einem gebrochenen Arm gerufen, darf er nach wie vor keine schmerzlindernden Mittel geben, wenn keine Lebensgefahr oder Folgeschäden drohen, sagt Bangerter. Schöfer: „Ich habe in meiner Ausbildung gelernt, in solchen Fällen die entsprechenden Medikamente zu geben, und habe durch mein Staatsexamen bewiesen, dass ich es kann. So schade ich das finde, aber in solchen Situationen warten wir eben weiterhin auf den Notarzt.“

Als gutes Beispiel voran: Der Reutlinger Weg

Seit rund 20 Jahren werden im Landkreis Reutlingen erweiterte Versorgungsmaßnahmen von Notfallsanitätern durchgeführt. Das sind explizite Maßnahmen, die vom Notfallsanitäter in der Erstphase auch ohne Arzt durchgeführt werden dürfen. „In dieser gesamten Zeit gab es keinen einzigen Fehltritt“, sagt der Rettungsdienstleiter Markus Metzger. Das sei durch klare Vorgaben, Schulungen und Überprüfungen möglich. Jedes Protokoll von solchen Einsätzen wird von einem Ärzteteam überprüft und beurteilt. Zusätzlich müssen die Reutlinger Notfallsanitäter jährlich eine schriftliche, mündliche und praktische Prüfung ablegen, um ihr Können zu zertifizieren.

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Erstellt:
27.02.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 01sec
zuletzt aktualisiert: 27.02.2021, 06:00 Uhr

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