Kulturphänomene (105)

Rätselhafte Jungswelt

Im Uhlandbad unter der Dusche: Zwei etwa zehnjährige Jungs. Fragt der eine: „Würdest du dich freuen, wenn ich dich zu meinem Geburtstag einladen würde?“ Sagt der andere: „Nein.“

17.12.2015

Von Peter Ertle

Wer gemeinsam schwimmen geht, muss noch nicht gemeinsam Geburtstag feiern. Trotzdem bleibt der hier verhandelte Dialog erklärungsbedürftig.Archivbild

Wer gemeinsam schwimmen geht, muss noch nicht gemeinsam Geburtstag feiern. Trotzdem bleibt der hier verhandelte Dialog erklärungsbedürftig.Archivbild

Das allein wäre vielleicht noch nicht denkwürdig. Aber die Art und Weise: Das nein war kein Spaß, es klang ernst. Es kam sehr schnell und wurde ohne große Bedeutung gesprochen, so als habe der eine gefragt „Hast du deine Schwimmbrille dabei?“ Und der andere habe geantwortet: „Vergessen.“

„Okay, dann musst du halt ohne schwimmen.“

„Ja klar.“

Vorher hatten beide sehr nett miteinander ihren Spaß unter der Dusche. Nach der Antwort war kein sichtbarer Abfall dieses freundschaftlichen Umgangs zu erkennen, kein Zögern, keine Nachfrage, kein Verstummen. Auch fand es der Gefragte nicht nötig, irgendeine Erklärung abzugeben, warum er sich nicht über eine Einladung freuen würde. Offenbar gab es überhaupt kein Problem. Nach fünf bis zehn Sekunden sprachen sie über etwas anderes weiter.

Was war hier los?

Natürlich, im Prinzip ist die Frage, ob sich der andere über eine Einladung freuen würde, eine Gemeinheit. Man will doch eingeladen werden, weil man gemocht wird, nicht aus einem Gefallen heraus, weil man sich darüber freuen würde. Vielleicht hatte der andere das sofort durchschaut und deswegen abgelehnt. Oder hatten beide bis vor kurzem kein so gutes Verhältnis, näherten sich gerade erst an und da wollte der eine erstmal testen, ob der andere diese neue Stufe der Freundschaft überhaupt wert war, ob er sich wirklich freuen würde. Falls nicht, wäre es ja blöd, eine Einladung auszusprechen. Beziehungsweise er brächte seinen Freund damit ja in die unangenehme Situation, ihm absagen zu müssen. Dann wäre die Formulierung geradezu ein Ausweis höchster Sensibilität, zumindest des Versuchs, dann wäre die Frage sozusagen die Kurzform für: „Sag mal, wenn ich, also nicht, dass ich das vorhabe, nur mal angenommen, ich käme auf die unwahrscheinliche Idee, also jetzt mal nur als reines Gedankenspiel, wenn ich, was ich nicht vorhabe, wenn ich dich völlig überraschend zu meinem Geburtstag einladen würde – würdest du dich dann freuen?“

Und der einzige Fehler dieser versuchten Skrupulosität läge darin, dass das so halt nicht klappt.

Aber kann das ein Zehnjähriger schon wissen?

Die Frage, ob er sich freuen würde, war vielleicht der zart-verquere Ausdruck eines sehnlichen Wunsches, der sich in einem schwachen beziehungsweise starken Moment Bahn brach. Und der andere spürte das und musste auf so viel unmännliche Gefühlsanwandlung abschlägig reagieren, ein Akt der Scham – der auch den Fragesteller nach seinem kurzen Gefühlsausbruch wieder auf den Boden der Jungswelt holte, wo Gefühle nur zwischen dem Star Wars Spielset und dem 560 PS des Ferrari California T mit Biturbo-V8 des Autoquartetts mannhaft sind. Und so war für beide die Welt wieder in Ordnung.

So oder so, das würde noch nicht ganz erklären, mit welcher Coolness, negativ ausgedrückt mit welcher Teilnahmslosigkeit dieser Dialog vonstatten ging. Das klappt wahrscheinlich nur in diesem Alter, in der die Herausbildung von Empathie und sozialem Verhalten wie ein halbfertiger Rohbau dasteht.

Oder war sein Nein tatsächlich die glatte, von Höflichkeit und Rücksicht unbeleckte Wahrheit? Dass man mit jemand gerne schwimmen geht, muss doch nicht heißen, dass man jetzt auch noch gern zu seinem Geburtstagsfest kommt. Das kann man ihm doch sagen. Und der andere muss deswegen nicht gleich geknickt sein. Zumal er ja nicht gesagt hat: „Ich würde dich gerne . . .“ sondern „Würde es dich freuen, wenn…?“

Sollten wir Erwachsenen uns eine Scheibe von diesem ehrlichen, unkomplizierten, fröhlichen Umgang miteinander abschneiden, statt unsere sensiblen Verkrampfungen weiter zu pflegen? Dann gäbe es viel weniger Streit und Kummer.

Oder hat der andere nur gut geschauspielert? Wird er als Erwachsener auf der Couch seines Psychotherapeuten erzählen: „Es begann schon in der Schule. Die Freunde, die ich einlud, kamen nie. Mein Freund Max, in den ich auch noch verliebt war, sagte mir unter der Dusche im Uhlandbad auf den Kopf zu, dass er sich nicht über eine Einladung zu meiner Geburtstagsparty freuen würde. . .“