Tübingen

Quatsch

Bei Weigerung volljährig: Die Stuttgarter Regierungs-Koalition hat einen Vorstoß des Tübinger OBs zur Altersfeststellung von Flüchtlingen aufgegriffen („Der Geist von Boris Palmer schwebt doch über der Regierung“, 15. Juni).

19.06.2018

Von Matthias Schuh, Tübingen

Flüchtlinge auf alleinige Veranlassung der Stadtverwaltung in Internierungslager „überstellen“, obwohl sich deren „Vergehen“ weit unterhalb jeglicher strafrechtlicher Relevanz bewegen? Ja super! Am besten schaffen wir gleich den ganzen überflüssigen rechtsstaatlichen Quatsch wie Gewaltenteilung, Verhältnismäßigkeit von Tat und Strafmaß, Gleichheit vor dem Gesetz, Opportunitätsprinzip und so weiter komplett ab und überlassen es zukünftig dem Tübinger OB, im Alleingang den nächsten dunkelhäutigen Radfahrer, der ihm in die Quere fährt, zu Fall zu bringen und in die Lagerhaft wegzuknasten.

Die Idee an sich ist ja nicht neu: schon mit dem „Grunderlass zur vorbeugenden Verbrechensbekämpfung“ vom 14. Dezember 1937 wurden kommunale Behörden in Deutschland erstmals dazu ermächtigt, in Eigenregie Menschen wegen angeblich „gemeinschaftswidrigen Verhaltens“ auch ohne Vorliegen strafrechtlicher Gründe in Lager deportieren zu lassen. Nahezu wortgleich wie heute wurden die damaligen Opfer zuerst als „Tunichtgute“, „Störer“, „negativ Auffällige“, „Gemeinschaftsfremde“ und „Gemeinschaftsschädlinge“ denunziert. Ab 1942 erfolgte in den KZ die systematische Ermordung dieser mit schwarzen Winkeln markierten Häftlinge.

Der ominöse „Geist“, der laut TAGBLATT angeblich gerade in Gestalt des Tübinger OBs über der Landesregierung schwebt, erinnert mitunter doch sehr an den Ungeist von vor 80 Jahren – der mittlerweile leider allzuoft ventiliert wird, sobald es (noch!) nur um Geflüchtete geht.