Antisemitismus

Prunksucht und Judenhass

Wird die Universität Tübingen umbenannt? Eine Kommission soll die Namensgeber Graf Eberhard und Herzog Karl Eugen bewerten.

12.07.2021

Von ULRICH JANSSEN

Noch heißt die Tübinger Hochschule „Eberhard-Karls-Universität“. Aber bleibt das so? Foto: Simon Wagner

Noch heißt die Tübinger Hochschule „Eberhard-Karls-Universität“. Aber bleibt das so? Foto: Simon Wagner

Tübingen. Wenn Universitäten über ihren Namen diskutieren, kann das dauern. Erst nach jahrzehntelangem öffentlichem Streit verabschiedete sich die Universität Greifswald 2017 von ihrem Namensgeber, dem Freiheitshelden und Antisemiten Ernst Moritz Arndt. Und die Universität in Münster ringt seit über 20 Jahren mit ihrem Kaiser Wilhelm II.. In Tübingen dagegen lief der Streit um Eberhard und Karl bislang eher dezent ab.

Das aber könnte sich ändern. Im Mai hat der Senat der Hochschule entschieden, überprüfen zu lassen, was von den beiden Namensgebern der Universität zu halten ist. Der eine ist Herzog Karl Eugen, ein prunksüchtiger Despot, der mit der Namensgebung vor allem sich selbst schmücken wollte. Und der andere ist Graf Eberhard, der die Hochschule 1477 gründete und als Lichtgestalt der Landesgeschichte gilt: Er konnte, heißt es im Württembergerlied, sein Haupt ohne Furcht in den Schoß eines jeden Untertanen legen.

Nach Ansicht der Studierendenvertreter im Senat, die mit ihrem Antrag die Prüfung auslösten, sind beide Personen nicht geeignet, „einer Universität im 21.?Jahrhundert den Namen zu stiften“. Graf Eberhard habe die Gründung der Uni seinerzeit mit der Vertreibung der Juden aus Tübingen verbunden, sagt das Senatsmitglied Lukas Weber, und Herzog Karl Eugen sei ein autoritärer Herrscher gewesen, „der gar nichts für die Universität geleistet hat“.

Fachschaften und linke Studierende kritisieren schon lange den Namen der ehrwürdigen Uni, sie nennen ihre Hochschule „Ernst Bloch-Universität“. Jetzt allerdings verzichteten sie bewusst darauf, den Namen des linken Philosophen als Alternative vorzuschlagen. Stattdessen wollen sie „die Institution und die Gesellschaft ermutigen, in einem demokratischen Namensfindungsprozess einen Namen zu finden, mit dem sie sich wohl fühlen“.

Noch fühlen sich viele alteingesessene Tübinger und selbst Mitarbeiter der Uni mit dem vertrauten Namen ganz wohl. „Ich habe ein massives Problem mit dieser ,Mode des Namenssturms'“, formulierte Bernd Gugel, ein grünes Gemeinderatsmitglied, die Bedenken in einem Leserbrief ans „Schwäbische Tagblatt“. In anderen Leserbriefen wurde gewarnt, dass eine „Namensänderung diesen Teil der deutschen Geschichte zum Verschwinden bringen“ würde. Oder dass sie ungeahnte Folgen haben könnte. „Au weia“, schrieb eine Leserin, „demnächst also Abschaffung des lutherischen Teils der evangelischen Kirche (oder reicht eine Umbenennung?)“.

Tatsächlich war Luther, wie viele große Gestalten der Geschichte, ein überzeugter Antisemit. Die Juden waren für ihn „Plage, Pestilenz und alles Unglück“, weshalb man ihre Synagogen und Schulen niederbrennen und ihnen alles Geld wegnehmen solle.

Doch soll man deshalb auch seinen Namen überall tilgen? Weber will sich dazu nicht äußern: „Ich kann nicht für die Lutheraner sprechen.“ Er betont aber, dass es den Studierenden nicht darum gehe, die Geschichte zu negieren oder „einen perfekten Menschen“ zu finden, der als Namensgeber tauge. Bei Graf Eberhard gehe es allerdings nicht um kleine Fehler, sondern um ausgeprägten Judenhass.

Für jüdische Studierende sei es eine Zumutung, „dass auf ihrem Abschlusszeugnis der Name eines Antisemiten steht“, findet Weber. Vertreter der Jüdischen Studierenden hatten sich deshalb auch an Tübingens Rektor Bernd Engler gewandt.

Der will nun mithilfe einer Kommission klären, ob die Namensgebung noch zeitgemäß ist. Und wie eine Institution grundsätzlich mit ihrem historischen Erbe umgehen sollte. Es handle sich um eine „Grundsatzfrage der Erinnerungskultur“, findet der Rektor, „und dafür brauchen wir eine vernünftige Grundlage“. Er selbst sei gespannt auf das Votum.

Ergebnis bis Jahresende

Zuständig für die Prüfung ist Professor Sigrid Hirbodian, die Leiterin des Tübinger Instituts für Geschichtliche Landeskunde und Expertin für mittelalterliche Universitätsgründungen. Die Quellenlage sei bekannt, versichert Hirbodian, man müsse jetzt versuchen, die beiden Namensgeber „in ihrer Zeit zu verstehen“. Bewegten sie sich im politischen Mainstream oder waren sie besonders üble Gestalten?

Die Historikerin hat mittlerweile eine hochrangig besetzte sechsköpfige Kommission zusammengestellt, die bis Jahresende ein Ergebnis vorlegen will. Das erste Ergebnis habe die Diskussion schon erbracht, freut sich die Institutsleiterin. Das Interesse an den geschichtlichen Umständen, in denen sich Graf Eberhard und Karl Eugen bewegten, sei gewachsen. Vielleicht könnte man auch den Namen behalten, überlegt Hirbodian, und stattdessen „Angebote machen, wie man sich aktiv damit auseinandersetzen kann“.

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Erstellt:
12.07.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 05sec
zuletzt aktualisiert: 12.07.2021, 06:00 Uhr

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