Die Frage nach der Schuld

Prozess um verheerenden Dammbruch in Brasilien

Die verheerende Dammbruch-Katastrophe im Südosten Brasiliens mit 270 Toten im Januar 2019 kommt jetzt in München vor Gericht. Ist der TÜV in Deutschland verantwortlich?

25.09.2021

Von Patrick Guyton

Eine Schneise der Zerstörung nach dem Dammbruch im Januar 2019: Helfer  bergen mithilfe eines Hubschraubers eine Leiche.  Foto: Rodney Costa/dpa

Eine Schneise der Zerstörung nach dem Dammbruch im Januar 2019: Helfer bergen mithilfe eines Hubschraubers eine Leiche. Foto: Rodney Costa/dpa

München. Es ist Zeit für Gerechtigkeit“, sagt Avimar Barcelos. „Unser Ort hat den Tod von 270 Menschen zu beklagen und wird für immer mit diesem Trauma zu kämpfen haben.“ Barcelos ist Bürgermeister der brasilianischen Gemeinde Brumadinho. Das Zerbrechen des großen Staudamms einer Eisenerzmine hatte dort am 25. Januar 2019 zu einer Katastrophe geführt. Mitschuldig daran ist nach Ansicht von ihm, der Angehörigen und deren Rechtsvertretern die in München angesiedelte Prüfgesellschaft TÜV Süd. Denn dessen brasilianischer Ableger hatte vier Monate zuvor dem Damm einen sicheren Zustand bescheinigt.

Am Dienstag beginnt der Schadenersatzprozess vor dem Landgericht München. Das Musterverfahren haben die Gemeinde sowie sechs Angehörige der Ingenieurin Izabela Barroso angestrengt, die bei dem Dammbruch getötet wurde. Betreiber der Mine ist der brasilianische Mega-Bergwerkskonzern Vale. Gegen ihn werden in Brasilien wegen des Unglücks verschiedene Prozesse angestrengt. Brumadinho liegt im Südosten Brasiliens im Bundesstaat Minas Gervais, in der Gegend werden Erz und andere Rohstoffe gefördert.

Es war am Mittag, als der oberhalb der Ortschaft gelegene Damm einbrach. Mit einer Geschwindigkeit von bis zu 70 Stundenkilometern rauschten gewaltige Massen des giftigen Schlamms nach unten, laut Experten waren es 11,7 Millionen Kubikmeter. Wie viele Angestellte saß auch Izabela Barroso zu dieser Zeit in der Kantine beim Essen. Das Gebäude wurde völlig zerstört, die Menschen getötet, ebenso in vielen weiteren Häusern der Ortschaft. Monatelang wurde nach Opfern gesucht, bis jetzt fand man 259 Leichen, elf Menschen werden vermisst.

Feuerwehrleute suchen in Brumadinho nach Opfern. Foto: Leo Correa/dpa

Feuerwehrleute suchen in Brumadinho nach Opfern. Foto: Leo Correa/dpa

In München werden nun nicht nur Izabela Barrosos Brüder und ihr Witwer beim Auftakt des Zivilprozesses erwartet – beide Seiten haben auch viele Anwälte engagiert. Allein 20 Millionen Euro hat das Unternehmen TÜV Süd laut einem Medienbericht für Rechtsanwalts- und Beratungskosten veranschlagt. Die Kläger werden von einer internationalen Anwaltskanzlei in Zusammenarbeit mit der deutschen Kanzlei Manner-Spangenberg vertreten.

Als sicher zertifiziert

„Unsere Beweise zeigen, dass der TÜV Süd diesen Damm als sicher zertifiziert hat, obwohl er nicht sicher war“, teilen Manner-Spangenberg mit. Die Anwälte sprechen von „Unternehmenskorruption und vorsätzlicher Fahrlässigkeit“. Bei Vernehmungen in Brasilien hatten dortige TÜV-Mitarbeiter angegeben, vom Vale-Konzern unter Druck gesetzt worden zu sein, den Damm zu genehmigen.

Das Verfahren könnte wegweisend für den juristischen Umgang mit Umweltkriminalität und deren Folgen werden. Es stellt sich als sehr komplex dar: Zuerst einmal muss geklärt werden, ob nach deutschem oder brasilianischem Recht verhandelt wird.

Die Kläger streben Entschädigungsverhandlungen mit dem TÜV Süd an. Dieser teilt mit, dass der Dammbruch eine „schreckliche Katastrophe“ gewesen sei. Allerdings trage der TÜV Süd „keine rechtliche Verantwortung“ dafür. Es fehle die „Grundlage für eine Haftung“. Außerdem würden die Kläger – also die Angehörigen – bereits in Brasilien „umfassend“ vom Vale-Konzern entschädigt.

Dem widerspricht der Anwalt Jan Erik Spangenberg auf Anfrage dieser Zeitung. Zwar habe Vale mit dem Bundesstaat Minas Gervais eine milliardenschwere Vereinbarung abgeschlossen. Kein Kläger und kein Angehöriger erhalte aber eine Entschädigung. Vielmehr werde das Geld für Infrastrukturprojekte verwendet, „deren größter Profiteur Vale selbst oder andere Bergbauunternehmen sein werden“.

Zum Artikel

Erstellt:
25.09.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 34sec
zuletzt aktualisiert: 25.09.2021, 06:00 Uhr

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Sie möchten diesen Inhalt nutzen? Bitte beachten Sie unsere Hinweise zur Lizenzierung.

Push aufs Handy

Die wichtigsten Nachrichten direkt aufs Smartphone: Installieren Sie die Tagblatt-App für iOS oder für Android und erhalten Sie Push-Meldungen über die wichtigsten Ereignisse und interessantesten Themen aus der Region Tübingen.

Newsletter


In Ihrem Benutzerprofil können Sie Ihre abonnierten Newsletter verwalten. Dazu müssen Sie jedoch registriert und angemeldet sein. Für alle Tagblatt-Newsletter können Sie sich aber bei tagblatt.de/newsletter auch ohne Registrierung anmelden.
Das Tagblatt in den Sozialen Netzen
    
Faceboook      Instagram      Twitter      Facebook Sport
Newsletter Wirtschaft: Macher, Moneten, Mittelstand
Branchen, Business und Personen: Sie interessieren sich für Themen aus der regionalen Wirtschaft? Dann bestellen Sie unseren Newsletter Macher, Moneten, Mittelstand!