Tübingen/Rottenburg · Amtsgericht

Prozess: Mit offener Türe den Zug blockiert

Weil er die Zugtüren so lange offenhielt, bis sein Kumpel ein Ticket gelöst hatte, musste ein 20-Jähriger vor Gericht.

17.10.2019

Von Jonas Bleeser

Nicht immer liegt es an der Bahn, wenn der Zug Verspätung hat. Bild: Cristina Priotto

Nicht immer liegt es an der Bahn, wenn der Zug Verspätung hat. Bild: Cristina Priotto

Nicht immer ist die Bahn Schuld an Verspätungen. Manchmal sind es auch die Passagiere – so wie in diesem Fall, der einen 20-Jährigen wegen Nötigung vors Tübinger Amtsgericht brachte.

Im Juni 2018 wollten drei junge Männer von Rottenburg nach Tübingen fahren. Dazu nahmen sie die Regionalbahn um 18.17 Uhr. Im Zug war ein Kontrolleur unterwegs. Als er die Karten des 20-Jährigen und seines 25-jährigen Begleiters überprüft hatte, sprang der dritte Mann plötzlich auf den Bahnsteig, um sich noch schnell einen Fahrschein zu ziehen. So zumindest schilderte es der Kontrolleur als Zeuge vor Gericht. Um zu verhindern, dass die Bahn ohne ihren Kumpel abfuhr, stellten sich die beiden in die Zugtür.

Den Zugbegleiter ignoriert

So lange sie nicht schließt, kann der Lokführer aus Sicherheitsgründen den Triebwagen nicht starten. Also wurde der Zugbegleiter deutlich: Er verlangte, dass sie die Türe freigeben sollten. „Ich habe sie mehrmals ermahnt.“ Doch die kümmerte das offenbar wenig. Er forderte sie auf, den Zug zu verlassen. „Aber das haben sie auch nicht gemacht.“

In seiner Not rief er den Lokführer zu Hilfe. Der erinnerte sich vor Gericht gut an den Vorfall: Dass Passagiere für andere die Türe offen halten, damit die den Zug noch erreichen, komme ständig vor. Dass jemand aber trotz Aufforderung nicht aus der Tür trete und er dann eigens nach hinten laufen muss, „das ist schon ungewöhnlich“. Erst als der Kontrolleur mit der Polizei drohte, hätten sich die beiden gefügt, sich aber weiter geweigert, den Zug zu verlassen. Der dritte Mann blieb dann lieber am Rottenburger Bahnhof zurück.

Wie viel später kam der Zug?

Wie lange das ganze dauerte, da widersprachen sich die Beteiligten: Die beiden Bahnzeugen gehen von vier bis fünf Minuten aus, der Angeklagte von 30 bis 40 Sekunden. Der Zug kam schließlich verspätet in Tübingen an – ob fünf Minuten (laut Zugbegleiter) oder nur zwei (so erinnerte sich der Angeklagte), blieb unklar. Dort wartete bereits die Polizei.

Beide saßen nun am Mittwoch auf der Anklagebank. Wegen des Zwischenfalls im Zug musste sich nur der Jüngere verantworten. Vorgeworfen wurde ihnen aber noch der gemeinsame Diebstahl eines Parfums aus einem Drogeriemarkt: Ein Ladendetektiv hatte sie eindeutig wiedererkannt. Der Jüngere wollte den Diebstahl alleine auf sich nehmen. Doch der Detektiv erinnerte sich genau, dass der eine den anderen mit seinem Körper vor Blicken schützte, als der das Fläschchen einsteckte.

Anklage: Klarer Fall von Nötigung

Die Staatsanwältin wertete die Zug-Blockade als klaren Fall von Nötigung: „Das war eine Unverschämtheit. Ein Zug muss sich an den Fahrplan halten, das ist eine Regel. Und an Regeln haben auch Sie sich zu halten“, sagte sie zum Angeklagten. Für ihn hatte die Jugendgerichtshilfe Jugendstrafrecht empfohlen: Zum Tatzeitpunkt war der größtenteils im Libanon aufgewachsene Deutsche 19 Jahre alt. Aufgrund schwieriger Familienverhältnisse und des abrupten Wechsels mit 17 Jahren zurück nach Deutschland sei er in seiner Entwicklung verzögert.

Die Staatsanwältin forderte für den Diebstahl und die Nötigung 80 Stunden gemeinnützige Arbeit: Sollte der Angeklagte einen festen Vollzeitjob bekommen, könne er stattdessen eine Geldauflage leisten. Sein 25-jähriger Begleiter, vor vier Jahren aus Syrien nach Deutschland geflohen, hat Arbeit: Für ihn forderte sie eine Geldstrafe von 20 Tagessätzen à 40 Euro für den Diebstahl. Unter Einbeziehung einer früheren Verurteilung wegen Diebstahls kam sie auf eine Gesamtstrafe von 1800 Euro.

So entschied auch die Richterin: „Ich bin überzeugt, dass Sie den Zug länger aufgehalten haben.“ Die beiden Angeklagten entschuldigten sich für ihre Taten: „Ich kann versprechen, dass es nicht mehr passieren wird“, erklärte der 20-Jährige.

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Erstellt:
17.10.2019, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 52sec
zuletzt aktualisiert: 17.10.2019, 01:00 Uhr

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