Russland

Protest gegen „Bunker-Opa“ Putin

Erneut gehen Zehntausende für Alexej Nawalny auf die Straße. Die Staatsmacht antwortet martialisch.

01.02.2021

Von STEFAN SCHOLL

Demonstranten am Sonntag in Moskau. Foto: Dmitry Serebryakov/AP/dpa

Demonstranten am Sonntag in Moskau. Foto: Dmitry Serebryakov/AP/dpa

Moskau. Hunderte von Menschen marschieren im Schnee durch die Hinterhöfe am Moskauer Gartenring, um die Polizeisperren Richtung Leningrader Bahnhof zu umgehen. „Ich will, dass Nawalny Präsident wird. Aber ich weiß nicht, ob er ein guter Präsident wird“, philosophiert Pjotr, ein 57-jähriger Physiker. „Alexei Nawalny ist nicht Angela Merkel.“ Pjotr ist einer von Zehntausenden, die am Sonntag in Moskau und anderen russischen Städten auf die Straße gehen – für die Freilassung des Oppositionsführers Alexei Nawalny und gegen den „Bunker-Opa“, wie ein handgemaltes Protestplakat Präsident Wladimir Putin betitelt.

Die Regierung reagiert mit Massenfestnahmen – und produziert brutale Bilder. In Moskau zwingen Einsatzpolizisten einen jungen Mann mit einem Elektroschocker zu Boden. Wieder schlagen sie mit ihren Holzknüppeln jungen Männern die Schädel blutig. Gegen 16 Uhr meldet ein Bürgerrechtsportal mehr als 3600 Festnahmen. Als auf dem Sennaja-Platz in Petersburg Schneebälle fliegen, setzen die Gesetzeshüter Tränengas ein, verprügeln auch Journalisten.

Die Moskauer Behörden wirkten schon vorher nervös. Viele Metro-Stationen wurden geschlossen, der halbe Stadtkern für Fußgänger gesperrt, Waffengeschäfte dicht gemacht. Immer neue grauschwarze Phalanxen der Einsatzpolizei bauen sich vor den Menschen auf, die sich erst zum Untersuchungsgefängnis Moskowskaja Tischina bewegen, wo Nawalny sitzt, und dann wieder zurück zum Leningrader Bahnhof. Der martialische Aufwand, den die Staatsmacht betreibt, gibt den Protesten ihr eigenes Gewicht.

„So kann es nicht weitergehen im Land, wir müssen auf die Straße gehen“, sagt Ilja, ein Informatikstudent vor dem Leningrader Bahnhof. Aber viele seiner Kommilitonen hätten Angst um ihren Studienplatz. „Haben Sie mich aufgenommen?“, fragt er dann ängstlich. „Können Sie das bitte wieder löschen? Sonst erkennt noch jemand meine Stimme.“

Die massiven Repressalien der vergangenen Wochen zeigen Wirkung, die Teilnehmerzahlen bei Protesten gehen in vielen Städten zurück. Drei Viertel der Regionalstabchefs Nawalnys sind nach Angaben von Mitstreitern im Gefängnis, auch zahlreiche regionale Journalisten wurden als mutmaßliche Aufwiegler verwarnt oder festgenommen. Mancher Passant fragt in Moskau die Demonstranten, wer dieser Nawalny denn sei. Ein echter Aufstand ist nicht in Sicht. Stefan Scholl