Bundestagswahl

Interview: „Programme kaum gelesen“

Den Wählern geht es mehr um die große Linie als um konkrete Wahlversprechen, sagt Kommunikationswissenschaftler Frank Brettschneider von der Uni Stuttgart-Hohenheim.

23.09.2021

Von DIETER KELLER

Frank Brettschneider. Foto: Marijan Murat/dpa

Frank Brettschneider. Foto: Marijan Murat/dpa

Parteien stehen im Verdacht, in Wahlprogrammen viel zu versprechen, ohne sich ausreichend Gedanken über die Finanzierung zu machen – zu Recht?

Frank Brettschneider: Ja. Wenn man die Parteiprogramme genauer liest, zeigt sich: Die Zahl der Wohltaten ist deutlich größer als die der Zumutungen. Es gibt zwar einzelne Vorschläge für die Finanzierung, etwa eine Vermögendenabgabe oder die CO2-Steuer. Aber sehr detailliert sind sie nicht, und oft wird das Geld gleich wieder ausgegeben.

Nehmen die Wähler die Versprechen für bare Münze?

Konkrete Wahlversprechen eher weniger. Es gibt Ausnahmen wie den Mindestlohn von zwölf Euro. Der ist leicht nachvollziehbar. Ansonsten geht es den Wählern mehr um die große politische Linie. Die Wahlprogramme liest auch kaum einer, nicht einmal innerhalb der Parteien.

Müssten dann die Parteiprogramme gar nicht so detailliert sein?

Die Bandbreite ist riesig. Die SPD hat sich diesmal auf grobe Linien konzentriert und kommt mit etwa 25?000 Wörtern aus. Die Linke fasst sich mit 68?000 Wörtern am längsten. Einerseits erwartet man von Parteien, dass sie zu vielen Punkten Auskunft geben. Andererseits ist die Vermittlung der großen politischen Linien und die Art des Regierens deutlich wichtiger.

Wahlversprechen müssen in Koalitionsverhandlungen umgesetzt werden. Dürften da viele enttäuscht werden?

Ja. Je konkreter die Versprechen sind, desto größer kann die Enttäuschung werden, weil einer der Koalitionspartner sagt: Das geht mit uns nicht. Zwar wissen alle, dass in Koalitionsverhandlungen jeder Federn lassen muss. Aber das macht es für die Wähler unberechenbarer, weil sie nicht wissen, was kommt. Für die Parteien dagegen ist es leicht zu sagen: Wir haben es ja versucht, aber der Koalitionspartner hat nicht mitgespielt.

Merken sich die Wähler, wenn sie enttäuscht wurden?

Das kommt sehr darauf an, ob es eine allgemeine Enttäuschung ist oder um konkrete Punkte ging, in die ein Wähler große Hoffnungen gesetzt hat. Hängen bleibt schon etwas. Oft verschwimmt mit der Zeit der konkrete Anlass. Es bleibt ein dumpfes Gefühl: Die machen ja eh nicht, was sie versprechen.

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Erstellt:
23.09.2021, 06:00 Uhr
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zuletzt aktualisiert: 23.09.2021, 06:00 Uhr

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