Interview mit Energieexperte

Prof. David Dismukes: Von Ausfällen und Verzicht

In den USA ist er ein gefragter Experte, wenn es um Flüssiggas und erneuerbare Energie geht. Im Gespräch mit „Wirtschaft im Profil“ spricht Prof. David Dismukes über die Entwicklungen auf den Energiemärkten, gibt einen Ausblick auf den Winter und erklärt, warum Ökostrom in den USA oft lokal gefördert wird.

13.10.2022

Von Lorenzo Zimmer

David Dismukes, Energie-Experte an der Louisiana State University in Baton Rouge. Bild: Louisiana State University

David Dismukes, Energie-Experte an der Louisiana State University in Baton Rouge. Bild: Louisiana State University

Der Ukraine-Krieg hat die Welt erschüttert und tut es weiterhin. Seine Auswirkungen sind zum einen bereits deutlich spürbar, zum anderen aber auch heute – mehr als ein halbes Jahr nach Kriegsbeginn – noch immer nicht vollständig absehbar, sagt Prof. David Dismukes. Mit „Wirtschaft im Profil“ spricht der Experte für Energiewirtschaft, fossile Brennstoffe und natürliche Ressourcen an der Louisiana State University in den USA über Russland, Nachhaltigkeit und die Zukunft der Energie.

Herr Professor Dismukes, die petrochemische Industrie macht einen beträchtlichen Teil der Wirtschaftskraft des Bundesstaats Louisiana aus. Ohne Öl und Gas geht in der Industrie des südlichen Bundesstaats wenig, oder?

Diese Region ist letztlich seit Mitte des 19. Jahrhunderts eng mit der Gewinnung und Weiterverarbeitung von Öl und Gas verbunden. Diese Industriezweige kamen von Norden runter an den Golf und setzten sich schließlich auch als Offshore-Anlagen vor der Küste fest. Für die Förderung von Öl und Gas ist Louisiana ein wichtiger Standort – für Exporte, aber auch für die Versorgung des Inlands. Die USA haben da insgesamt einen Weg hinter sich.

Können Sie diesen Weg kurz
beschreiben?

Historisch gesehen wurden Öl und Gas lange importiert, um die Industrie zu versorgen. In den 1970er- und 80er-Jahren waren die Kapazitäten der Gewinnung von Öl und Gas dann an ein Limit gestoßen, ehe mit dem Fracking neue Möglichkeiten entstanden. Sie waren in den südlichen Bundesstaaten, darunter auch Louisiana und Texas, am größten und machten Import wieder unwichtiger.

Wie sieht der Energie-Export
aus Louisiana heute aus?

Im Norden des Bundesstaats, in der Haynesville Shale, gibt es ein sehr großes Gasvorkommen. Dort wird es gefördert, verflüssigt und dann als so genanntes LNG, also Flüssiggas (Liquefied Natural Gas, Anm. d. Red), von unseren Spezialhäfen am Golf von Mexiko nach Asien sowie West- und Mitteleuropa exportiert.

Also sind die steigenden Gaspreise gute Nachrichten für Louisiana?

Das könnte man im ersten Moment denken, aber dem ist nicht so. Zumindest im Moment nicht. Das liegt zum einen daran, dass die Gasförderung Sache des Bundes und nicht des Landes ist. Washington nimmt also durch die Preise mehr ein, nicht aber der Bundesstaat. Und zum anderen wird auch heute in Louisiana mehr Energie verbraucht als hergestellt, weil etwa die hiesige chemische Industrie sehr von Energie abhängt. Das heißt: Wir zahlen mehr als wir einnehmen.

Welche Folgen haben die Preise?

Die gestiegenen Gas- und Benzinpreise treffen Privathaushalte mit am härtesten. Und Unternehmen, die viel Energie benötigen, könnten großen wirtschaftlichen Schaden nehmen - unabhängig davon, ob sie Mittelständler oder Konzerne sind.

Auch in Deutschland sind Flüssiggas und LNG-Terminals inzwischen ein großen Thema.
Wie sehen Sie die Technologie?

Für uns geht es dabei vor allem um die Herausforderung, das Gas so runterzukühlen, dass es transportfähig wird und nach Europa geschafft werden kann. Das Problem ist, dass eine solche Raffinerie zum Verflüssigen des Gases zwischen 9 und 15 Milliarden kostet. Das ist vergleichbar mit einem Atomkraftwerk.

Und das hemmt den Markt?

Die Kraftwerke haben eine Laufzeit von 50 Jahren. Dass in diesen Bereich sehr viel Geld investiert wird, hielte ich nur dann für realistisch, wenn langjährige Abnehmerverträge zum Beispiel mit Europa geschlossen würden. Nur dann könnten Gewinne garantiert und das ganze lukrativ genug werden.

Was bedeutet die anhaltende Russlandkrise für den weltweiten Energiemarkt?

Sie schafft vor allem große Unsicherheit. Und damit auch große Unsicherheiten für den Preis. Alles schwankt weiterhin um hohe Prozentzahlen, weil Russland als großer Gas- und Öllieferant weggefallen ist. Aber auch am Flüssiggasmarkt ist Russland ein großer Player, auch hier ist Chaos ausgebrochen. Und gegenwärtig ist kein Ende in Sicht.

Wenn in Deutschland über den Winter gesprochen wird, ist viel von Verzicht die Rede.
Wie denken Sie darüber?

Im Sommer war in den USA wie auch in Europa noch vieles ganz in Ordnung. Aber natürlich wollte man in diesen Monaten eigentlich Reserven und Grundlasten einkaufen. Daraus wurde nichts. Und im Gegensatz zu Russland sind die Menschen in Westeuropa und den USA nicht unbedingt daran gewöhnt, mit Ausfällen und Verzicht zu leben und umzugehen.

Wenn wir über die Russlandkrise hinausblicken: Wie wird der Energiemarkt in 50 Jahren aussehen?

Energie wird wahrscheinlich von überall kommen. Es wird sehr viel diversifizierter sein, durchaus mit erneuerbarer Energie, die weitaus wichtiger geworden ist. Aber ganz übernommen haben wird sie aus meiner Sicht nicht. Um Flugzeuge und Schiffe zu betreiben, werden auch dann noch fossile Brennstoffe genutzt wie etwa Flüssiggas und Erdgas.

Wie weit sind die USA bei
den Erneuerbaren?

Sie werden spürbar größer und wichtiger. Bei 20 Prozent des Stroms in den USA sprechen wir heute von Ökostrom, vor einigen Jahren waren es noch unter 10 Prozent. Vor allem in einigen westlichen Bundesstaaten haben wir gute politische und gute geografischen Bedingungen für den Ausbau dieser Energieversorgung. Windenergie in den großen Ebenen, Sonnenenergie im Südwesten, etwa Gasthermie und andere im Atlantikraum.

Was muss getan werden, damit
erneuerbare Energie eine noch wichtigere Rolle spielen kann?

Man merkt schon jetzt, dass auch die südlicheren Bundesstaaten in diesem Bereich nachziehen. Was man politisch auf den ersten Blick vielleicht nicht erwarten würde. Der Grund ist, dass wir dort große ungenutzte Agrarflächen haben. Da lässt sich auf sehr vielen Wegen nachhaltige Energie gewinnen. Diese Projekte erhalten von lokal und regional agierenden Firmen, politischen Akteuren und der Gesellschaft vor Ort immer mehr Aufmerksamkeit und Förderung. Sie sind sich des Klimawandels sehr bewusst und wollen nicht mehr auf die landesweite Regierung und ihre Verordnungen warten.

Es gibt also Hoffnung?

Wir werden an einen Punkt kommen, wo sich etwa Strom besser speichern lassen wird. Wann das ist, wissen wir nicht, aber es wird viele Probleme der erneuerbaren Energien lösen.

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Erstellt:
13.10.2022, 13:39 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 56sec
zuletzt aktualisiert: 13.10.2022, 13:39 Uhr

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