Selbstbestimmung bleibt das Thema
Pro Familia eröffnete vor 40 Jahren das erste Büro in Tübingen
Aufklärung, Verhütung, Sexualität: Das waren die Themen, um die es bei der Gründung von Pro Familia 1952 in Kassel ging – und um die es bis heute geht.
Seit 1977 hat die „Gesellschaft für Familienplanung, Sexualpädagogik und Sexualberatung“ eine Beratungsstelle in Tübingen. In der Rümelinstraße 8 gab es schon im Jahr zuvor eine von Ehrenamtlichen, etwa Studierenden der Sozialpädagogik, betriebene Vorläuferin. „Es war ein sehr gutes Angebot in einer immer noch sehr verklemmten Gesellschaft“, erinnert sich Rita Haller Haid, Vorsitzende von Pro Familia Tübingen/Reutlingen.
Der Kreisverband unterhält in beiden Städten Beratungsstellen – und seit Juli auch eine kleine Dependance in Mössingen. Außerdem gibt es seit Ende der neunziger Jahre eine Online-Beratung. „Tübingen war immer innovativ“, sagt Haller-Haid. Heute kämen Ratsuchende aller Altersstufen.
„Jedes Kind hat das Recht, erwünscht zu sein“, beschreibt sie den Impetus der Gründer. In der Phase nach 1968, den Anfangsjahren der neuen Frauenbewegung und der Entstehung von Jugendhäusern, ging es um Aufbruch und selbstbestimmte Sexualität. Eine große Rolle spielte zunächst auch noch der Kampf gegen den Paragraphen 175, der Homosexualität kriminalisierte, und gegen den Paragraphen 218, der Abtreibung generell unter Strafe stellte.
Als freier, nicht konfessionsgebundenen Träger übernahm Pro Familia im Lauf der Geschichte auch gesetzliche Aufgaben wie die Schwangerschaftskonfliktberatung. „Wir waren auch schon immer mit emanzipatorischer Sexualberatung an den Schulen und haben aufgeklärt“, sagt Haller-Haid. Keine der ursprünglichen Aufgaben habe sich erledigt – im Gegenteil: Es kämen immer neue dazu. So gehe es seit der Jahrtausendwende zunehmend um Themen wie Kinderwunsch oder Reproduktionsmedizin.
Als Fachverband habe Pro Familia auch immer wieder die Aufgabe, politisch Stellung zu beziehen, sagt Haller-Haid. So etwa bei der Pränataldiagnostik: Weil es die technischen Möglichkeiten dafür gibt, erfolgten die Tests immer früher. Doch sie müssten gut begleitet werden, damit nicht wegen eines theoretischen Risikos Schwangerschaften abgebrochen werden.
„Der Drang zu später Elternschaft führt zu immer mehr ungewollter Kinderlosigkeit“, berichtet Heideker. Dabei sei im Ausland medizinisch viel mehr zulässig als hierzulande – auch das ein Thema für Pro Familia: „Es gibt Kinder, die bis zu fünf Eltern haben – auch sie dürfen kein Stigma tragen.“
Manches, was als längst gesicherte Errungenschaft galt wie die Akzeptanz sexueller Vielfalt, wird heute wieder angegriffen – so etwa bei den von der AfD unterstützten Demonstrationen gegen den baden-württembergischen Bildungsplan vor der Landtagswahl 2016. „Es ist sehr schwierig, da gegenzuhalten“, sagt Heideker. Der Verein bleibe aber bei seinem emanzipatorischen Ansatz.
Die Tübinger Beratungsstelle von Pro Familia
Neun Fachkräfte – Psychologen, Pädagogen, Sozialpädagogen und eine Ärztin – gehören zum Tübinger Team von Pro Familia.
Finanziert wird die Beratungsstelle überwiegend vom Land. Es gibt aber auch einen Kooperationsvertrag mit dem Kreis Tübingen. Hinzu kommen Spenden und Entgelte für Leistungen.
Das Angebot erstreckt sich auf Beratung bei Schwangerschaft und Elternschaft, Schwangerschaftskonfliktberatung, Sexualberatung, Ehe- und Partnerschaftsberatung,
Trennungs- und Scheidungsberatung, medizinische Fragen, Familienplanung, Erziehungsberatung, Beratung für Eltern mit Schreibabys und schlaflosen Kleinkindern, Beratung bei sexueller Gewalt, Beratung zum Kinderschutz,
Jugendberatung und Sexualpädagogik.
Die Adresse der Beratungsstelle: Hechinger Straße 8 in Tübingen, Telefon 0 70 71 / 3 41 51, E-Mail info@profamilia-tuebingen.de