Hintergrund

Umgang mit dem Sterben: Pragmatischere Menschen

Wie die Gesellschaft mit dem Sterben umgeht, treibt die beiden Passauer Soziologen Thorsten Benkel und Matthias Meitzler schon länger um.

21.11.2021

Von Igor Steinle

Sie erklären die hohe Anzahl an Feuerbestattungen zunächst einmal mit dem Bedeutungsverlust der Religion. „Die Idee der leibhaftigen Auferstehung, die früher sehr wichtig und nur mit einer Körpererdbestattung möglich war, ist heute kaum noch verbreitet“, erklärt Meitzler.

Die Menschen seien pragmatischer geworden: Wenn ohnehin keine Auferweckung stattfindet, muss es auch nicht die platz-, pflege- und kostenintensive Erdbestattung sein. Zumal viele Angehörige nicht mehr in der Nähe des oder der Verstorbenen leben, was die regelmäßige Pflege erschwert.

Auch die im europäischen Vergleich strengen Begräbnisvorschriften und Friedhofsordnungen würden viele Menschen abschrecken, sagt Meitzler. „Sie wollen nicht, dass jemand ihnen vorschreibt, wie sie zu trauern haben.“ Sozialer Druck, der etwa mit der Grabpflege verbunden ist, führe dazu, „dass viele Menschen Friedhöfe negativ bewerten oder von vornherein pflegefreie Gräber wählen“.

Am wichtigsten für die Friedhofsflucht der Deutschen sei jedoch der Friedhofszwang. Anders als in anderen Ländern darf die Asche Verstorbener hierzulande nicht mal geteilt werden, um etwa zu einem Diamanten gepresst oder mit nach Hause genommen zu werden. „Der Effekt ist, dass immer mehr Angehörige gegen die Regeln verstoßen und sich die Totenasche über illegale Umwege aushändigen lassen“, sagt Meitzler.

Den Umgang der Friedhofs­­betreiber mit dem gesunkenen ­­Interesse an ihren Ruhestätten in Deutschland beurteilen die So­­ziologen un­­terschiedlich. „Manche erkennen, dass sie sich verändern müssen, um mit der Zeit zu gehen“, sagt Benkel. Andere hingegen würden sich wünschen, „dass alles so bleibt, wie es ist, und dass Hinterbliebene zurück zu den alten Traditionen finden“, sagt er.

Dass dies passieren werde, sei allerdings eine Illusion. Denn die Trauerkultur entwickele sich ­­stetig weiter. So werde beispiels­­weise das Internet immer ­­wichtiger. „Dort lässt sich beobachten, etwa in Foreneinträgen, wie Trauer und Verlust verarbeitet werden“, sagt Benkel. Heute sei das zwar noch nicht besonders verbreitet, in Zukunft werde sich das jedoch ändern. „Das Internet ist der Markt zukünftiger Trauer.“

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Erstellt:
21.11.2021, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 1min 59sec
zuletzt aktualisiert: 21.11.2021, 01:00 Uhr

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